Die Gier, Profite zu machen, schaltet den gesunden Menschenverstand aus
HLV INFO 82/AT
30-07-2006
Prof. Dr. Karl Richter, Saarland
29-07-06 Provokation in Rehlingen/Saar
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
das Saarland ist bekannt für seinen überdurchschnittlichen Bevölkerungsschwund, aber auch die besonders rücksichtslose Bevölkerung der Wohngebiete mit Mobilfunkantennen, die immer mehr Menschen vertreibt. Die Mobilfunkindustrie ist sich ihrer saarländischen Partner so sicher, daß sie nicht einmal versucht, von der sog. Selbstverpflichtung zu einvernehmlichen Lösungen Gebrauch zu machen.
In Rehlingen schien dank einer starken Bürgerinitiative, einem mutigen Bürgermeister und mancher Unterstützung aus den Oppositionsparteien immerhin eine Kompromißlösung in greifbarer Nähe, die keine Ideallösung gewesen wäre, aber die Strahlenbelastung wenigstens deutlich reduziert hätte. Da brach Vodafone die Verhandlungen abrupt ab und läßt die Antennen am vorgesehenen Standort in Betrieb gehen - gegen alle Bitten, Proteste und Vermittlungsversuche.
Inzwischen bestätigt der Ort vier typische Grundtendenzen der im Saarland beobachtbaren Mobilfunkentwicklung:
1. Die Bürger werden überfahren.
2. Kein Mobilfunkbetreiber gebärdet sich dabei rücksichtsloser und brutaler als Vodafone.
3. Kein Land gewährt den Mobilfunkbetreibern dabei einen verläßlicheren Schutz.
4. Aber die Bürger zahlreicher Orte sind auch immer weniger gewillt, diese Umwandlung einer Demokratie der Bürger in eine Diktatur der Industrie hinzunehmen.
Nach meiner bisherigen Kenntnis haben die "Saarbrücker Zeitung", die "Welt Kompakt" der "Wochenspiegel" und der "Aktuelle Bericht" des SR3 über die Vorgänge berichtet. Ich möchte den überregionalen deutschen und internationalen mobilfunkkritischen Mail-Verteilern sowie Freunden aus dem Land und dem gesamtdeutschen "Netzwerk Risiko Mobilfunk" hier wenigstens die vergleichsweise ausführliche Berichterstattung in der "Saarbrücker Zeitung" und die Stellungnahme des Bürgermeisters im "Wochenspiegel" zu weiterer Verbreitung überlassen. Dass der Bürgermeister von Rehlingen-Siersburg angesichts solcher Tendenzen öffentlich sein geschwundenes Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat bekennt und andere Politiker sich ähnlich äußern, zeigt, wohin unsere politische Kultur (ver)gekommen ist.
Ich füge der Sendung hier noch einige Auszüge aus den gehaltenen Reden der Bürgersprecherinnen und -sprecher hinzu:
Sabine Goebel, Sprecherin der Bürgerinitiative Rehlingen (und eine der Sprecher/innen des Bündnisses saarländischer Bürgerinitiativen Mobilfunk):
"Seit 11 Monaten bemühen wir uns um eine Lösung, die dem Betreiber Vodafone und uns allen gerecht wird. Nach vielen Gesprächen und Aktionen liegt jetzt eine Einigung in greifbarer Nähe. Um so mehr empfinden wir den weiteren Ausbau, der jetzt zum Einschalten der Antenne führt, als unverschämte Provokation. Vodafone heuchelt in Gesprächen mit unseren Landespolitikern, auf die Bürger und Bürgerinnen einzugehen. Wie lässt sich dann die jetzige Vorgehensweise erklären? Das Mitspracherecht der Gemeinde und der Anwohner wird mit Füßen getreten. Hier zeigt sich wieder einmal, wer die wahren Herren in unserem Land sind. In verabscheuungswürdiger Art und Weise setzt sich Vodafone über jegliche, zumindest moralische Verpflichtung, hinweg. Die sogenannte Selbstverpflichtung existiert für diesen Konzern nicht". Sie sei, wie Frau Goebel weiter ausführte und begründete, einer menschenverachtenden "hemmungslosen Profitgier" gewichen.
Kurt Remmel, einer der Rehlinger Miststreiter, deutete das geschehen vor Ort als Symptom eines "neoliberalen Kapitalismus" schlimmster Prägung, der mit Hilfe politischer und wirtschaftlicher Macht Bürger "gnadenlos" überfährt, "rechtlos" und "schutzlos" macht:
„'Rechtlos' müssen sich die Bürger, die politischen Repräsentanten wie Bürgermeister und Ratsmitglieder dem Handeln der Wirtschaft, in unserem Falle Vodafone, aussetzen. Die Planungshoheit der Gemeinde als Konsequenz aus dem Baurecht ist durch den Vertrag, den die ehemalige Bundesregierung mit den Mobilfunkbetreibern geschlossen hat, ausgehebelt. Normalerweise darf eine bauliche Maßnahme, die den Gebietscharakter des betreffenden Wohngebietes verändert, ohne Zustimmung der Gemeinde bzw des Landkreises nicht durchgeführt werden. Welche rechtlichen Möglichkeiten Kommunen oder Landkreis im Falle der Errichtung von Basisstationen haben, ist uns allen bekannt: keine! Und das in einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik. Wenn wir so eine Situation aus einem Land der 3. Welt hören würden, käme uns sofort der Begriff 'Bananenrepublik'. Liebe Mitbürger, wir brauchen nicht nach Afrika zu schauen, wir leben mitten in einem solchen Staat. Wer glaubt denn daran, dass da etwas übersehen wurde, nein, das ist strategisch so geplant! Das ist die bewusste Strategie des neoliberalen Kapitalismus, den immer mehr Menschen als 'Raubtierkapitalismus' erleben."
Als einer der Sprecher/innen des Bündnisses saarländischer Bürgerinitiativen Mobilfunk habe ich selbst in einer Solidaritätsbotschaft an die Rehlinger Freunde die Vorwürfe wiederholt, die wir in unserem Offenen Brief vom 21. Juni 2006 gegenüber dem Ministerpräsidenten des Landes, Peter Müller, erhoben hatten:
"1. Regierung und ihre Berater nehmen nur den industriefreundlichen Teil der Forschung zur Kenntnis
2. Nach der industrieunabhängigen Forschung machen sie sich fahrlässiger Körperverletzung und Tötung schuldig.
3. Nachweise eingehaltener Grenzwerte ohne erkennbares Problembewußtsein sind eine Veruntreuung von Steuergeldern, kein Verbraucherschutz.
4. Über die Gesundheit der Bürger und ihr Eigentum wird verfügt wie in Zeiten des Obrigkeitsstaates.
5. In allem ist der Regierungspolitik das Gespür für menschliche, soziale und kulturelle Grundwerte der Demokratie abhanden gekommen."
Soeben ist ein Antwortbrief aus dem Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales eingegangen. Der Minister antwortet im Auftrag des Ministerpräsidenten, kommt dabei allerdings - und auch das nicht sonderlich aufschlußreich - explizit nur auf den Vorwurf fahrläsiger Körperverletzung und Tötung zurück: "Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage, so dass ich nicht näher darauf eingehen möchte. Tatsächlich sieht sich die Landesregierung mit allen namhaften Expertengremien darin einig, dass elektromagnetische Felder des Mobilfunks in der in Deutschland zugelassenen und eingehaltenen Stärke nach gegenwärtigem Kenntnisstand gesundheitlich unbedenklich sind." Die Verantwortung für die geltenden Grenzwerte wird sodann beim Bund gesehen, die Aufgabe der Länder wie folgt eingeschränkt: "Den Bundesländern obliegt lediglich die Überwachung der Einhaltung der Grenzwerte. Auch im Saarland werden diese eingehalten und in den allermeisten Fällen nur zu einem geringen Teil ausgeschöpft." Die Sätze bestätigen die Richtigkeit unserer Vorwürfe eindrucksvoll. Wir werden in geeigneter Weise auf diese übertrieben schlichte Aufgabenbeschreibung, mit der die Landesregierung die Eigenständigkeit des Landes nur auf das wirksamste in Frage stellt, zurückkommen. Inzwischen fragen sich jedenfalls immer mehr kritische Bürger, warum sie solche Armutszeugnisse an geistiger und moralischer Kultur auch noch mit Steuergeldern finanzieren sollen.
Im Auftrag des Bündnisses saarländischer Bürgerinitiativen Mobilfunk
Karl Richter
UMTS Demo in Rehlingen am 24-07-06
UMTS-Endmontage eine „Provokation”
Bürger und Politiker protestieren gegen umstrittenen Antennenbau in Rehlingen kurz vor Entscheidung über Alternativstandort
Nach elf Monaten mit Protesten und Verhandlungen scheint es unabwendbar, dass die umstrittene UMTS-Antenne mitten in Rehlingen in diesen Tagen in Betrieb geht. Vodafone ließ gestern die Endmontage vornehmen. Die Gemeinde sah sich kurz vor Einigung auf einen Alternativstandort.
VON SZ-REDAKTEUR HARALD KNITTER
Rehlingen. Morgens um acht Uhr war die Welt in Rehlingen noch in Ordnung. Aber schon um halb neun begann gestern die Unruhe: Die Polizei sperrte die Straße Am Marienberg ab und ein Kranwagen postierte sich vor dem Eckhaus. Während eine Montagebühne die Techniker zur UMTS-Antenne am emporhob, formierte sich unten der Protest gegen den Mobilfunksender mitten im Ort. 80 Demonstranten, von Anwohnern und Bürgerinitiative über Bürgermeister und Gemeinderäte bis zu Landes- und Bundespolitikern, machten ihrem Unmut Luft: die einen mit Transparenten, die anderen mit Reden.
Einigung stand kurz bevor
Alle einte das Entsetzen darüber, dass der Mobilfunkbetreiber Vodafone, mit der Endmontage Fakten am umstrittenen Standort schafft, obwohl die Gespräche mit der Gemeinde über einen Alternativstandort kurz vor dem Abschluss stehen. Nun kann der Konzern den Sender jederzeit einschalten.
„Sie sehen mich heute recht betroffen“, rief der Bürgermeister von Rehlingen-Siersburg, Martin Silvanus, den Anwohnern zu: „Ich hatte die Hoffnung, dass es in einer zivilisierten Gesellschaft, die ein Rechtsstaat sein sollte, möglich ist, eine Lösung zu finden, bei der die Rechte aller Beteiligten geachtet werden.“
Die Kommunen haben bei der Aufstellung von Mobilfunkantennen aber kein Mitbestimmungs-, nur ein Anhörrecht. Nach eingehenden Verhandlungen mit Vodafone und der Erstellung eines Gutachtens fehlten nach elf Monaten nur noch Wochen, um den Alternativstandort spruchreif zu machen. Mit den Fraktionsspitzen und der Ortsvorsteherin klärt Silvanus am Mittwoch die letzten Schritte. Die Endmontage sei daher „eine unnötige Provokation“.
„Grenzwerte anpassen“
Nach SZ-Informationen wird die Strahlung der Sendeanlage Am Marienberg weniger als ein Prozent der gesetzlichen Grenzwerte erreichen, an dem alternativen Standort auf einem 25-Meter-Masten am Sportplatz wäre es an den gewählten Messpunkten noch einmal rund 50 Prozent weniger. Der Widerstand in der Bevölkerung ist groß wegen ungeklärter Krankheitshäufungen an anderen Antennen-Standorten.
Der Saarlouiser Bundestagsabgeordnete Ottmar Schreiner (SPD) berichtete aus Berlin, die Veröffentlichung der Ergebnisse der Begleitforschung – noch vom Umweltministerium unter Rot-Grün in Auftrag gegeben – verzögere sich von 2006 auf 2007. Derweil habe er selbst in Völklingen kranke Antennen-Anwohner besucht: „Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Krankheiten eingebildet waren, sondern es liegt nahe, dass ein Zusammenhang besteht.“ Deshalb sollten die Antennen außerhalb dichter Wohngebiete stehen und das Gesundheitsamt näher hinschauen.
Hubert Ulrich, Landeschef der Grünen, schimpfte: „Die Situation macht noch einmal deutlich, mit welcher Arroganz manche Unternehmen über Belange der Bürger hinweggehen. Ich halte das für zynisch.“ Auch seine Gespräche mit Vodafone hätten keinen Aufschub bewirkt. Ulrich fordert, die höheren deutschen Grenzwerte an die niedrigeren der Nachbarländer wie Schweiz und Italien anzugleichen. Die Ratsfraktionen der SPD, CDU und FWG versicherten den Bürgern, ihnen den Rücken zu stärken. Die schärfsten Worte wählte Reinhold Jost, zugleich Generalsekretär der Saar-SPD: „Das Vorgehen von Vodafone zeigt, dass die Gier, Profite zu machen, den gesunden Menschenverstand ausschaltet. Durch Vodafone hat es heute eine Klimaveränderung zum Schlechteren gegeben.“
30-07-2006
Prof. Dr. Karl Richter, Saarland
29-07-06 Provokation in Rehlingen/Saar
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
das Saarland ist bekannt für seinen überdurchschnittlichen Bevölkerungsschwund, aber auch die besonders rücksichtslose Bevölkerung der Wohngebiete mit Mobilfunkantennen, die immer mehr Menschen vertreibt. Die Mobilfunkindustrie ist sich ihrer saarländischen Partner so sicher, daß sie nicht einmal versucht, von der sog. Selbstverpflichtung zu einvernehmlichen Lösungen Gebrauch zu machen.
In Rehlingen schien dank einer starken Bürgerinitiative, einem mutigen Bürgermeister und mancher Unterstützung aus den Oppositionsparteien immerhin eine Kompromißlösung in greifbarer Nähe, die keine Ideallösung gewesen wäre, aber die Strahlenbelastung wenigstens deutlich reduziert hätte. Da brach Vodafone die Verhandlungen abrupt ab und läßt die Antennen am vorgesehenen Standort in Betrieb gehen - gegen alle Bitten, Proteste und Vermittlungsversuche.
Inzwischen bestätigt der Ort vier typische Grundtendenzen der im Saarland beobachtbaren Mobilfunkentwicklung:
1. Die Bürger werden überfahren.
2. Kein Mobilfunkbetreiber gebärdet sich dabei rücksichtsloser und brutaler als Vodafone.
3. Kein Land gewährt den Mobilfunkbetreibern dabei einen verläßlicheren Schutz.
4. Aber die Bürger zahlreicher Orte sind auch immer weniger gewillt, diese Umwandlung einer Demokratie der Bürger in eine Diktatur der Industrie hinzunehmen.
Nach meiner bisherigen Kenntnis haben die "Saarbrücker Zeitung", die "Welt Kompakt" der "Wochenspiegel" und der "Aktuelle Bericht" des SR3 über die Vorgänge berichtet. Ich möchte den überregionalen deutschen und internationalen mobilfunkkritischen Mail-Verteilern sowie Freunden aus dem Land und dem gesamtdeutschen "Netzwerk Risiko Mobilfunk" hier wenigstens die vergleichsweise ausführliche Berichterstattung in der "Saarbrücker Zeitung" und die Stellungnahme des Bürgermeisters im "Wochenspiegel" zu weiterer Verbreitung überlassen. Dass der Bürgermeister von Rehlingen-Siersburg angesichts solcher Tendenzen öffentlich sein geschwundenes Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat bekennt und andere Politiker sich ähnlich äußern, zeigt, wohin unsere politische Kultur (ver)gekommen ist.
Ich füge der Sendung hier noch einige Auszüge aus den gehaltenen Reden der Bürgersprecherinnen und -sprecher hinzu:
Sabine Goebel, Sprecherin der Bürgerinitiative Rehlingen (und eine der Sprecher/innen des Bündnisses saarländischer Bürgerinitiativen Mobilfunk):
"Seit 11 Monaten bemühen wir uns um eine Lösung, die dem Betreiber Vodafone und uns allen gerecht wird. Nach vielen Gesprächen und Aktionen liegt jetzt eine Einigung in greifbarer Nähe. Um so mehr empfinden wir den weiteren Ausbau, der jetzt zum Einschalten der Antenne führt, als unverschämte Provokation. Vodafone heuchelt in Gesprächen mit unseren Landespolitikern, auf die Bürger und Bürgerinnen einzugehen. Wie lässt sich dann die jetzige Vorgehensweise erklären? Das Mitspracherecht der Gemeinde und der Anwohner wird mit Füßen getreten. Hier zeigt sich wieder einmal, wer die wahren Herren in unserem Land sind. In verabscheuungswürdiger Art und Weise setzt sich Vodafone über jegliche, zumindest moralische Verpflichtung, hinweg. Die sogenannte Selbstverpflichtung existiert für diesen Konzern nicht". Sie sei, wie Frau Goebel weiter ausführte und begründete, einer menschenverachtenden "hemmungslosen Profitgier" gewichen.
Kurt Remmel, einer der Rehlinger Miststreiter, deutete das geschehen vor Ort als Symptom eines "neoliberalen Kapitalismus" schlimmster Prägung, der mit Hilfe politischer und wirtschaftlicher Macht Bürger "gnadenlos" überfährt, "rechtlos" und "schutzlos" macht:
„'Rechtlos' müssen sich die Bürger, die politischen Repräsentanten wie Bürgermeister und Ratsmitglieder dem Handeln der Wirtschaft, in unserem Falle Vodafone, aussetzen. Die Planungshoheit der Gemeinde als Konsequenz aus dem Baurecht ist durch den Vertrag, den die ehemalige Bundesregierung mit den Mobilfunkbetreibern geschlossen hat, ausgehebelt. Normalerweise darf eine bauliche Maßnahme, die den Gebietscharakter des betreffenden Wohngebietes verändert, ohne Zustimmung der Gemeinde bzw des Landkreises nicht durchgeführt werden. Welche rechtlichen Möglichkeiten Kommunen oder Landkreis im Falle der Errichtung von Basisstationen haben, ist uns allen bekannt: keine! Und das in einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik. Wenn wir so eine Situation aus einem Land der 3. Welt hören würden, käme uns sofort der Begriff 'Bananenrepublik'. Liebe Mitbürger, wir brauchen nicht nach Afrika zu schauen, wir leben mitten in einem solchen Staat. Wer glaubt denn daran, dass da etwas übersehen wurde, nein, das ist strategisch so geplant! Das ist die bewusste Strategie des neoliberalen Kapitalismus, den immer mehr Menschen als 'Raubtierkapitalismus' erleben."
Als einer der Sprecher/innen des Bündnisses saarländischer Bürgerinitiativen Mobilfunk habe ich selbst in einer Solidaritätsbotschaft an die Rehlinger Freunde die Vorwürfe wiederholt, die wir in unserem Offenen Brief vom 21. Juni 2006 gegenüber dem Ministerpräsidenten des Landes, Peter Müller, erhoben hatten:
"1. Regierung und ihre Berater nehmen nur den industriefreundlichen Teil der Forschung zur Kenntnis
2. Nach der industrieunabhängigen Forschung machen sie sich fahrlässiger Körperverletzung und Tötung schuldig.
3. Nachweise eingehaltener Grenzwerte ohne erkennbares Problembewußtsein sind eine Veruntreuung von Steuergeldern, kein Verbraucherschutz.
4. Über die Gesundheit der Bürger und ihr Eigentum wird verfügt wie in Zeiten des Obrigkeitsstaates.
5. In allem ist der Regierungspolitik das Gespür für menschliche, soziale und kulturelle Grundwerte der Demokratie abhanden gekommen."
Soeben ist ein Antwortbrief aus dem Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales eingegangen. Der Minister antwortet im Auftrag des Ministerpräsidenten, kommt dabei allerdings - und auch das nicht sonderlich aufschlußreich - explizit nur auf den Vorwurf fahrläsiger Körperverletzung und Tötung zurück: "Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage, so dass ich nicht näher darauf eingehen möchte. Tatsächlich sieht sich die Landesregierung mit allen namhaften Expertengremien darin einig, dass elektromagnetische Felder des Mobilfunks in der in Deutschland zugelassenen und eingehaltenen Stärke nach gegenwärtigem Kenntnisstand gesundheitlich unbedenklich sind." Die Verantwortung für die geltenden Grenzwerte wird sodann beim Bund gesehen, die Aufgabe der Länder wie folgt eingeschränkt: "Den Bundesländern obliegt lediglich die Überwachung der Einhaltung der Grenzwerte. Auch im Saarland werden diese eingehalten und in den allermeisten Fällen nur zu einem geringen Teil ausgeschöpft." Die Sätze bestätigen die Richtigkeit unserer Vorwürfe eindrucksvoll. Wir werden in geeigneter Weise auf diese übertrieben schlichte Aufgabenbeschreibung, mit der die Landesregierung die Eigenständigkeit des Landes nur auf das wirksamste in Frage stellt, zurückkommen. Inzwischen fragen sich jedenfalls immer mehr kritische Bürger, warum sie solche Armutszeugnisse an geistiger und moralischer Kultur auch noch mit Steuergeldern finanzieren sollen.
Im Auftrag des Bündnisses saarländischer Bürgerinitiativen Mobilfunk
Karl Richter
UMTS Demo in Rehlingen am 24-07-06
UMTS-Endmontage eine „Provokation”
Bürger und Politiker protestieren gegen umstrittenen Antennenbau in Rehlingen kurz vor Entscheidung über Alternativstandort
Nach elf Monaten mit Protesten und Verhandlungen scheint es unabwendbar, dass die umstrittene UMTS-Antenne mitten in Rehlingen in diesen Tagen in Betrieb geht. Vodafone ließ gestern die Endmontage vornehmen. Die Gemeinde sah sich kurz vor Einigung auf einen Alternativstandort.
VON SZ-REDAKTEUR HARALD KNITTER
Rehlingen. Morgens um acht Uhr war die Welt in Rehlingen noch in Ordnung. Aber schon um halb neun begann gestern die Unruhe: Die Polizei sperrte die Straße Am Marienberg ab und ein Kranwagen postierte sich vor dem Eckhaus. Während eine Montagebühne die Techniker zur UMTS-Antenne am emporhob, formierte sich unten der Protest gegen den Mobilfunksender mitten im Ort. 80 Demonstranten, von Anwohnern und Bürgerinitiative über Bürgermeister und Gemeinderäte bis zu Landes- und Bundespolitikern, machten ihrem Unmut Luft: die einen mit Transparenten, die anderen mit Reden.
Einigung stand kurz bevor
Alle einte das Entsetzen darüber, dass der Mobilfunkbetreiber Vodafone, mit der Endmontage Fakten am umstrittenen Standort schafft, obwohl die Gespräche mit der Gemeinde über einen Alternativstandort kurz vor dem Abschluss stehen. Nun kann der Konzern den Sender jederzeit einschalten.
„Sie sehen mich heute recht betroffen“, rief der Bürgermeister von Rehlingen-Siersburg, Martin Silvanus, den Anwohnern zu: „Ich hatte die Hoffnung, dass es in einer zivilisierten Gesellschaft, die ein Rechtsstaat sein sollte, möglich ist, eine Lösung zu finden, bei der die Rechte aller Beteiligten geachtet werden.“
Die Kommunen haben bei der Aufstellung von Mobilfunkantennen aber kein Mitbestimmungs-, nur ein Anhörrecht. Nach eingehenden Verhandlungen mit Vodafone und der Erstellung eines Gutachtens fehlten nach elf Monaten nur noch Wochen, um den Alternativstandort spruchreif zu machen. Mit den Fraktionsspitzen und der Ortsvorsteherin klärt Silvanus am Mittwoch die letzten Schritte. Die Endmontage sei daher „eine unnötige Provokation“.
„Grenzwerte anpassen“
Nach SZ-Informationen wird die Strahlung der Sendeanlage Am Marienberg weniger als ein Prozent der gesetzlichen Grenzwerte erreichen, an dem alternativen Standort auf einem 25-Meter-Masten am Sportplatz wäre es an den gewählten Messpunkten noch einmal rund 50 Prozent weniger. Der Widerstand in der Bevölkerung ist groß wegen ungeklärter Krankheitshäufungen an anderen Antennen-Standorten.
Der Saarlouiser Bundestagsabgeordnete Ottmar Schreiner (SPD) berichtete aus Berlin, die Veröffentlichung der Ergebnisse der Begleitforschung – noch vom Umweltministerium unter Rot-Grün in Auftrag gegeben – verzögere sich von 2006 auf 2007. Derweil habe er selbst in Völklingen kranke Antennen-Anwohner besucht: „Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Krankheiten eingebildet waren, sondern es liegt nahe, dass ein Zusammenhang besteht.“ Deshalb sollten die Antennen außerhalb dichter Wohngebiete stehen und das Gesundheitsamt näher hinschauen.
Hubert Ulrich, Landeschef der Grünen, schimpfte: „Die Situation macht noch einmal deutlich, mit welcher Arroganz manche Unternehmen über Belange der Bürger hinweggehen. Ich halte das für zynisch.“ Auch seine Gespräche mit Vodafone hätten keinen Aufschub bewirkt. Ulrich fordert, die höheren deutschen Grenzwerte an die niedrigeren der Nachbarländer wie Schweiz und Italien anzugleichen. Die Ratsfraktionen der SPD, CDU und FWG versicherten den Bürgern, ihnen den Rücken zu stärken. Die schärfsten Worte wählte Reinhold Jost, zugleich Generalsekretär der Saar-SPD: „Das Vorgehen von Vodafone zeigt, dass die Gier, Profite zu machen, den gesunden Menschenverstand ausschaltet. Durch Vodafone hat es heute eine Klimaveränderung zum Schlechteren gegeben.“
rudkla - 30. Jul, 13:47