„Die Stadt versucht, massiv zu verschleiern“
HLV INFO 74/AT
12-07-2006
FNP
Printausgabe vom 12.07.2006
Die über dreistündige Bürgerversammlung kann die Bedenken der Sendemast-Gegner nicht zerstreuen
„Die Stadt versucht, massiv zu verschleiern“
Von Hans Schrönghammer
Niederhöchstadt. Weit über drei Stunden harrten mehr als 200 Zuhörer im heißen Saal des Bürgerzentrums aus. Dabei hätte die Kontroverse um den 30 Meter hohen UMTS-Sendemast am Sportplatz auch bei kühleren Temperaturen die Gemüter erhitzt, wie in den vergangenen Wochen zu beobachten (wir berichteten). Klarheit über mögliche gesundheitliche Gefährdungen konnten auch die beiden Wissenschaftler aus Gießen, die Ärztin Dr. Herr und Professor Brecko, sowie Wolfgang Klose von der Bundesnetzagentur und Sascha Damaschke vom Betreiber O2 nicht bringen. Letzten Endes bleiben die vorgetragenen Daten der Bewertung der Zuhörer unterworfen.
Wenn etwa die Gießener Ärztin Dr. Herr berichtete, dass extrem niederfrequente elektromagnetische Wellen möglicherweise als krebserregend eingestuft werden könnten, dann schränkte sie die Aussage gleich wieder zusätzlich ein mit dem Hinweis, dass dies nicht auf Funkstrahlen übertragbar sei. Wenn bei einer Untersuchung ein Anstieg von Leukämie im Kindesalter wegen „Magnetfeldexposition“ zu beobachten war, dann fehle dafür jede biologische Erklärung. Die Ärztin zur statistischen Signifikanz solcher Untersuchungen: „In Gebieten mit vielen Störchen gibt es mehr Kinder.“ Daraus könne man aber nicht schließen, dass die Störche auch die Kinder bringen. Ein Trost für von der Angst um ihre Kinder umgetriebenen Eltern war das nicht.
Immerhin berichtete die wissenschaftliche Abteilung auf dem Podium – dort saßen auch der Stadtverordnetenvorsteher Horst-Günter Döll (CDU), Bürgermeister Wilhelm Speckhardt (CDU) und der Erste Stadtrat Mathias Geiger (FDP) – bei der „Naila-Mobilfunkstudie“ von einer Verdreifachung der Fallzahlen mit der wachsenden Nähe (unter 400 Meter) zum Strahlungszentrum. Die Fallzahlen seien aber so niedrig, dass auch andere Gründe ausschlaggebend sein könnten. Eine Familie mit einer Disposition zu Krebs im Untersuchungsgebiet könne die Wahrscheinlichkeit ins Gegenteil verkehren. Nachdem sich die Zuhörer nicht beruhigen ließen und von der Ärztin versichert haben wollten, dass keine Gefährdung vorliege, reagierte die Medizinerin sichtlich genervt: „Ich kann Ihnen nur bescheinigen, dass Ihr Leben mit dem Tod enden wird.“ Zur Risikoabwägung fügte Herr hinzu: „Stellen Sie das Autofahren ein, da ist die Schädlichkeit erwiesen.“
Damit war reichlich Zündstoff im Publikum vorhanden. Ein Arzt aus dem Kreis der Zuhörer wies auf den „Faktor Zeit“ hin, also das Einwirken von Funkstrahlen über längere Zeiträume. Er erinnerte dabei an den einst für ungefährlich gehaltenen Baustoff Asbest und sprach weiter von einem „schicksalhaften Potpourri“ an Belastungen, auch durch das Handy, und fügte hinzu: „Das Handy kann ich aber selber abschalten, den Mast da nicht.“
„Keiner von uns kann einen Effekt ausschließen“, „Es gibt überhaupt keine Technik, die wirkungsfrei wäre“, „Sie werden niemanden von uns finden, der ein Risiko ausschließen kann“ – so oder so ähnlich lauteten die Antworten auf dem Podium, als die Zuhörer unbeirrt auf Antworten zur gesundheitlichen Gefährdung beharrten. Die Reaktion aus dem Publikum kam prompt. „Die Angst, die uns hierher getrieben hat, der können Sie als Wissenschaftler nicht beikommen“, hieß es da.
Die Versäumnisse der Verwaltung, nicht rechtzeitig über das Projekt eines zentralen Funkmastes informiert zu haben, wurden erneut an den Pranger gestellt. Nach zwei Stunden warf ein Sprecher der Initiative gegen den UMTS-Mast dem Bürgermeister vor, die zwölf vor der Sitzung des Stadtparlamentes gestellten Fragen nicht bis zur Bürgerversammlung beantwortet zu haben. „Es gibt nur Versuche der Stadt zur massiven Verschleierung“, sagte der Sprecher der Initiative weiter und bestand darauf, die zwölf Fragen erneut vorzulegen. Die Initiative fordert weiter den „Rückbau des Gerüstturmes“ und will die „Hintergründe und den zweifelhaften Ablauf der Vorgänge in Kürze veröffentlichen“. Speckhardt („Ich habe alle Fragen beantwortet“) wehrte sich gegen die Vorwürfe, gestand aber eine verfehlte Informationspolitik ein: „Wir hätten vorher informieren müssen, das war eine Fehleinschätzung, wir haben daraus gelernt.“
Der Zorn der Zuhörer war jedoch nicht zu besänftigen, auch nicht mit der Stellungnahme der Wissenschaftler zum Standort des Turms: „Es sind ausreichend Sicherheitsabstände vorhanden, auch für Kinder.“ Gegen 23 Uhr mehrten sich die heftigen Attacken aus dem Publikum: „Sagen Sie nicht, dass die Strahlung nicht gefährlich ist“ – „Es geht O2 darum, die Kapazität zu erweitern und damit den Profit“ – „Grenzwerte sind noch nie von Dauer gewesen.“
12-07-2006
FNP
Printausgabe vom 12.07.2006
Die über dreistündige Bürgerversammlung kann die Bedenken der Sendemast-Gegner nicht zerstreuen
„Die Stadt versucht, massiv zu verschleiern“
Von Hans Schrönghammer
Niederhöchstadt. Weit über drei Stunden harrten mehr als 200 Zuhörer im heißen Saal des Bürgerzentrums aus. Dabei hätte die Kontroverse um den 30 Meter hohen UMTS-Sendemast am Sportplatz auch bei kühleren Temperaturen die Gemüter erhitzt, wie in den vergangenen Wochen zu beobachten (wir berichteten). Klarheit über mögliche gesundheitliche Gefährdungen konnten auch die beiden Wissenschaftler aus Gießen, die Ärztin Dr. Herr und Professor Brecko, sowie Wolfgang Klose von der Bundesnetzagentur und Sascha Damaschke vom Betreiber O2 nicht bringen. Letzten Endes bleiben die vorgetragenen Daten der Bewertung der Zuhörer unterworfen.
Wenn etwa die Gießener Ärztin Dr. Herr berichtete, dass extrem niederfrequente elektromagnetische Wellen möglicherweise als krebserregend eingestuft werden könnten, dann schränkte sie die Aussage gleich wieder zusätzlich ein mit dem Hinweis, dass dies nicht auf Funkstrahlen übertragbar sei. Wenn bei einer Untersuchung ein Anstieg von Leukämie im Kindesalter wegen „Magnetfeldexposition“ zu beobachten war, dann fehle dafür jede biologische Erklärung. Die Ärztin zur statistischen Signifikanz solcher Untersuchungen: „In Gebieten mit vielen Störchen gibt es mehr Kinder.“ Daraus könne man aber nicht schließen, dass die Störche auch die Kinder bringen. Ein Trost für von der Angst um ihre Kinder umgetriebenen Eltern war das nicht.
Immerhin berichtete die wissenschaftliche Abteilung auf dem Podium – dort saßen auch der Stadtverordnetenvorsteher Horst-Günter Döll (CDU), Bürgermeister Wilhelm Speckhardt (CDU) und der Erste Stadtrat Mathias Geiger (FDP) – bei der „Naila-Mobilfunkstudie“ von einer Verdreifachung der Fallzahlen mit der wachsenden Nähe (unter 400 Meter) zum Strahlungszentrum. Die Fallzahlen seien aber so niedrig, dass auch andere Gründe ausschlaggebend sein könnten. Eine Familie mit einer Disposition zu Krebs im Untersuchungsgebiet könne die Wahrscheinlichkeit ins Gegenteil verkehren. Nachdem sich die Zuhörer nicht beruhigen ließen und von der Ärztin versichert haben wollten, dass keine Gefährdung vorliege, reagierte die Medizinerin sichtlich genervt: „Ich kann Ihnen nur bescheinigen, dass Ihr Leben mit dem Tod enden wird.“ Zur Risikoabwägung fügte Herr hinzu: „Stellen Sie das Autofahren ein, da ist die Schädlichkeit erwiesen.“
Damit war reichlich Zündstoff im Publikum vorhanden. Ein Arzt aus dem Kreis der Zuhörer wies auf den „Faktor Zeit“ hin, also das Einwirken von Funkstrahlen über längere Zeiträume. Er erinnerte dabei an den einst für ungefährlich gehaltenen Baustoff Asbest und sprach weiter von einem „schicksalhaften Potpourri“ an Belastungen, auch durch das Handy, und fügte hinzu: „Das Handy kann ich aber selber abschalten, den Mast da nicht.“
„Keiner von uns kann einen Effekt ausschließen“, „Es gibt überhaupt keine Technik, die wirkungsfrei wäre“, „Sie werden niemanden von uns finden, der ein Risiko ausschließen kann“ – so oder so ähnlich lauteten die Antworten auf dem Podium, als die Zuhörer unbeirrt auf Antworten zur gesundheitlichen Gefährdung beharrten. Die Reaktion aus dem Publikum kam prompt. „Die Angst, die uns hierher getrieben hat, der können Sie als Wissenschaftler nicht beikommen“, hieß es da.
Die Versäumnisse der Verwaltung, nicht rechtzeitig über das Projekt eines zentralen Funkmastes informiert zu haben, wurden erneut an den Pranger gestellt. Nach zwei Stunden warf ein Sprecher der Initiative gegen den UMTS-Mast dem Bürgermeister vor, die zwölf vor der Sitzung des Stadtparlamentes gestellten Fragen nicht bis zur Bürgerversammlung beantwortet zu haben. „Es gibt nur Versuche der Stadt zur massiven Verschleierung“, sagte der Sprecher der Initiative weiter und bestand darauf, die zwölf Fragen erneut vorzulegen. Die Initiative fordert weiter den „Rückbau des Gerüstturmes“ und will die „Hintergründe und den zweifelhaften Ablauf der Vorgänge in Kürze veröffentlichen“. Speckhardt („Ich habe alle Fragen beantwortet“) wehrte sich gegen die Vorwürfe, gestand aber eine verfehlte Informationspolitik ein: „Wir hätten vorher informieren müssen, das war eine Fehleinschätzung, wir haben daraus gelernt.“
Der Zorn der Zuhörer war jedoch nicht zu besänftigen, auch nicht mit der Stellungnahme der Wissenschaftler zum Standort des Turms: „Es sind ausreichend Sicherheitsabstände vorhanden, auch für Kinder.“ Gegen 23 Uhr mehrten sich die heftigen Attacken aus dem Publikum: „Sagen Sie nicht, dass die Strahlung nicht gefährlich ist“ – „Es geht O2 darum, die Kapazität zu erweitern und damit den Profit“ – „Grenzwerte sind noch nie von Dauer gewesen.“
rudkla - 12. Jul, 14:01