Vordemokratische Geheimdienste
http://taz.de/pt/2006/03/02/a0038.1/text
(taz-Kommentar Ch. Semmler) In den meisten der 46 Mitgliedsländer des Europarates, so klagte dessen Menschenrechtsbeauftragter Terry Davis gestern, gebe es keine "wirksamen juristischen und parlamentarischen Kontrollmechanismen ", um geheimdienstliche Operationen zu überwachen.
Diese anlässlich der CIA-Aktivitäten in Europa getroffene Feststellung enthält nichts bestürzend Neues. Schließlich bezieht sich das Geheime an Geheimdiensten nicht nur auf die Tätigkeit der Schlapphüte, sondern auch auf das, was sie ihren Auftraggebern mitzuteilen haben. Kontrolle heißt laut Terry Davis, fremden Diensten "das wunderbare Jagdgelände Europa " zu entziehen. Aber infrage steht die Kontrolle der Geheimdienste generell. Kontrolle setzt Öffentlichkeit voraus, auch der Kontrollierende bedarf der Kontrolle - weshalb das geheim tagende, zu Verschwiegenheit verpflichtete Kontrollgremium des Bundestages eine Fehlkonstruktion darstellt. Aber widerspricht demokratische Kontrollbefugnis nicht dem Prinzip, dass Teile der Staatstätigkeit der öffentlichen Wachsamkeit entzogen werden sollen? Dann stellt die Forderung nach wirksamen Kontrollen einen nicht auflösbaren Widerspruch dar. Tatsache ist, dass Geheimdienste, die der Spionage oder deren Abwehr dienen, in einem Raum operieren, der Rechtsnormen weitgehend entzogen ist. Dort wird zu Straftaten angestiftet, oder sie werden selbst begangen, alles im Interesse der jeweiligen Staatsräson. Im Kalten Krieg stellte diese Praxis kein größeres Problem dar, denn die Ost-West-Konfrontation verlieh den Geheimdiensten eine Legitimation, die den Mangel an Legalität wettmachte. Aber diese höhere Rechtfertigung ist jetzt entschwunden - und der Imperativ des Kampfs gegen den Terrorismus ist kein gleichwertiger Ersatz. Deshalb steht nicht nur der Schutz Europas vor der CIA, sondern generell die Zukunft der "Dienste " als vordemokratischer Institutionen zur Debatte. Abstrakt um Abschaffung geht es nicht, sondern um neue rechtsstaatliche Grundlagen für die der Sicherheit dienende Informationsbeschaffung. Naive Weltfremdheit? Eher ein überfälliges Unternehmen konstruktiver Abräum- und Aufbauarbeit.
taz vom 2.3.2006, S. 1, 62 Z.
(Kommentar), CHRISTIAN SEMLER
Link zum Beitrag / Hintergrundinfo oder Pressehinweis: http://www.hh-online.com?lid=23648 und http://links.net-hh.de?lid=23648
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(taz-Kommentar Ch. Semmler) In den meisten der 46 Mitgliedsländer des Europarates, so klagte dessen Menschenrechtsbeauftragter Terry Davis gestern, gebe es keine "wirksamen juristischen und parlamentarischen Kontrollmechanismen ", um geheimdienstliche Operationen zu überwachen.
Diese anlässlich der CIA-Aktivitäten in Europa getroffene Feststellung enthält nichts bestürzend Neues. Schließlich bezieht sich das Geheime an Geheimdiensten nicht nur auf die Tätigkeit der Schlapphüte, sondern auch auf das, was sie ihren Auftraggebern mitzuteilen haben. Kontrolle heißt laut Terry Davis, fremden Diensten "das wunderbare Jagdgelände Europa " zu entziehen. Aber infrage steht die Kontrolle der Geheimdienste generell. Kontrolle setzt Öffentlichkeit voraus, auch der Kontrollierende bedarf der Kontrolle - weshalb das geheim tagende, zu Verschwiegenheit verpflichtete Kontrollgremium des Bundestages eine Fehlkonstruktion darstellt. Aber widerspricht demokratische Kontrollbefugnis nicht dem Prinzip, dass Teile der Staatstätigkeit der öffentlichen Wachsamkeit entzogen werden sollen? Dann stellt die Forderung nach wirksamen Kontrollen einen nicht auflösbaren Widerspruch dar. Tatsache ist, dass Geheimdienste, die der Spionage oder deren Abwehr dienen, in einem Raum operieren, der Rechtsnormen weitgehend entzogen ist. Dort wird zu Straftaten angestiftet, oder sie werden selbst begangen, alles im Interesse der jeweiligen Staatsräson. Im Kalten Krieg stellte diese Praxis kein größeres Problem dar, denn die Ost-West-Konfrontation verlieh den Geheimdiensten eine Legitimation, die den Mangel an Legalität wettmachte. Aber diese höhere Rechtfertigung ist jetzt entschwunden - und der Imperativ des Kampfs gegen den Terrorismus ist kein gleichwertiger Ersatz. Deshalb steht nicht nur der Schutz Europas vor der CIA, sondern generell die Zukunft der "Dienste " als vordemokratischer Institutionen zur Debatte. Abstrakt um Abschaffung geht es nicht, sondern um neue rechtsstaatliche Grundlagen für die der Sicherheit dienende Informationsbeschaffung. Naive Weltfremdheit? Eher ein überfälliges Unternehmen konstruktiver Abräum- und Aufbauarbeit.
taz vom 2.3.2006, S. 1, 62 Z.
(Kommentar), CHRISTIAN SEMLER
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rudkla - 2. Mär, 15:14