Holz und Glas im Strahlenmeer

12. März 2006,
NZZ am Sonntag

Die Schweizer Mobilfunkanbieter rüsten ihre Antennen laufend auf. Betroffene Anwohner und Behörden wehren sich gegen die Strahlenbelastung. Der Innerrhoder Landammann Carlo Schmid scheut auch vor exotischen Massnahmen nicht zurück. Von Andreas Schmid

Die Methode ist ebenso unkonventionell wie umstritten. Mit gedrechselten Holzfiguren und wasserpfeifenähnlichen Plexiglaskörpern bekämpft der Ägypter Ibrahim Karim den Elektrosmog. «Biogeometrie» nennt der 64-jährige ETH-Architekt und Doktor der Wissenschaften seine Lehre. Die Glasformen werden auf Handyantennen und Sendeanlagen ausgerichtet und sollen so deren Strahlen neutralisieren. «Harmonisieren» nennt es Ibrahim Karim, der mit einem Versuch im sankt-gallischen Hemberg für die einen zum erlösenden Heilsbringer, für die anderen zum gaukelnden Scharlatan wurde.

Nachdem die Swisscom im Kirchturm der Toggenburger Gemeinde im Sommer 2002 eine Handyantenne installiert hatte, beklagten sich zahlreiche Anwohner über Schlafstörungen, Herzrhythmus- und Blutdruckprobleme. Durch persönliche Kontakte zu Karim und die Vermittlung der Ombudsstelle Mobilkommunikation kam 2003 ein biogeometrischer Versuch zustande. Die Swisscom bot Hand, obwohl Kritiker die Formenmethode als wissenschaftlichen Humbug verschrien.

Was die Hemberger Anwohner dann Monate später erzählten, polarisierte erst recht, weil es sich niemand erklären konnte: Die Geplagten schliefen wieder tief und fühlten sich wohl. Lange nicht mehr gesehene Tierarten seien zudem nach Hemberg zurückgekehrt. Die Swisscom kommentierte das Ergebnis des Versuchs nur bedingt erfreut. Der unerwartete Erfolg der Biogeometrie drängte das Unternehmen erst recht in die Rolle des Sündenbocks. «Am Mobilfunk alleine lagen die Beschwerden der Betroffenen nicht»; die Antenne habe lediglich eine ungünstige Konstellation akzentuiert, betonten die Verantwortlichen.

Was im Toggenburg half, wollten auch die Bewohner des Hirschbergs in Appenzell Innerrhoden. Schliesslich sind sie zugleich den Strahlen des Senders Säntis, den Immissionen militärischer Funkanlagen sowie Handyantennen ausgesetzt. Der Ombudsstelle schwebte ein biogeometrischer Versuch mit wissenschaftlicher Begleitung vor. Ein Unterfangen, das nach monatelangen Verhandlungen scheiterte. Die für Karim vorgesehenen Vertragspartner, die Forschungsstiftung Mobilkommunikation (FSM) der ETH Zürich sowie die Swisscom, scherten aus. «Das Projekt erfüllt unsere wissenschaftlichen Ansprüche nicht», begründet FSM-Geschäftsleiter Gregor Dürrenberger. Zu vieles sei zu unklar und offen geblieben, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Für Dürrenberger gibt es keine naturwissenschaftliche Antwort auf die Frage, wie die biogeometrischen Interventionen wirksam sein könnten. Die Forscher wollten das gar nicht erfahren, entgegnet Karim. «Bewusst haben sie Unmögliches wie Doppelblindversuche bei Tieren verlangt.» Die Skepsis der FSM habe schliesslich auch die Swisscom zum Rückzug bewogen. Ein Politiker springt ein

Dennoch wurde der Versuch am Hirschberg Ende 2005 gestartet. Der Innerrhoder Landammann Carlo Schmid verhinderte einen Übungsabbruch. Immerhin forderten die Anwohner von der Kantonsregierung seit Jahren eine Linderung der Strahlenimmissionen. Ein Dienstleistungsvertrag regelt inzwischen die biogeometrische Partnerschaft zwischen Karim und dem Kanton Appenzell Innerrhoden offiziell, die Regierung hat dafür einen Kredit von 20 000 Franken gesprochen. Nicht weil Landammann Schmid - zugleich CVP-Ständerat und Präsident des Nutzfahrzeugverbands Astag - ein feuriger Anhänger unerklärbarer Lehren abseits des Bodenständigen wäre: «Die subjektive Belastung der Leute am Hirschberg war derart, dass wir nun quasi als Ultima Ratio auch eine Massnahme unterstützen, die man durchaus anzweifeln kann.» Die positive Bilanz in Hemberg hat Schmid animiert, das Projekt zu unterstützen. «Wir hätten den Versuch dann nicht fördern dürfen, wenn die Methode nachweislich den Gesetzen der Physik zuwiderlaufen würde.» Das sei aber bis heute nicht geschehen.

Hirschberg-Anwohner Josef Mazenauer will in der Nachbarschaft bereits erste positive Auswirkungen von Karims Tätigkeit festgestellt haben. Die Strahlenplagen - Kopfweh und Übelkeit zum Beispiel - seien bereits wesentlich zurückgegangen. In zehn Häusern hat Karim biogeometrische Formen sowie spezielle Matten und Teppiche gegen Erdstrahlen ausgelegt. Diese «Haussets» habe er vor Wintereinbruch als vorübergehende Lösung eingesetzt, sagt der Ägypter. Im Frühling will er dann ein flächendeckendes System für die ganze Umgebung installieren. Vorerst kümmert er sich jedoch um seine Geschäfte in der Heimat. Dort ist er als Berater von Ministern, in der Forschung und in den Medien ein gefragter Mann, bekannt geworden etwa durch biogeometrische Projekte im Obstbau und in der Geflügelzucht, die in der Vergangenheit für Furore gesorgt haben.

Noch viel mehr als auf Karims Rückkehr warten in der Schweiz die Fachleute, Behörden und Elektrosmog-Betroffenen auf die Resultate einer Studie der Forschungsstiftung Mobilkommunikation zur Strahlenbelastung durch Handyantennen. Rund zwei Dutzend Schweizer Gemeinden haben ein Moratorium für den Bau von UMTS-Anlagen verhängt, bis dass deren Einflüsse auf die Umgebung genau untersucht sind. Einst auf Ende 2005 in Aussicht gestellt, stehen die Ergebnisse der Studie weiterhin aus. Weil die aufwendige wissenschaftliche Prüfung durch ein Fachjournal noch nicht abgeschlossen sei, begründen die Verantwortlichen.

Die Verzögerung löst bei Antennen- Kritikern Unmut aus. Sie befürchten eine zwischenzeitliche Einflussnahme der Mobilfunkanbieter. Diese haben die 720 000 Franken teure Forschungsarbeit zu 40 Prozent finanziert. Dass die Industrie einen Beitrag zur Abklärung der offenen Fragen leistet, findet FSM-Geschäftsleiter Gregor Dürrenberger eher fair als problematisch: «Zumal die Geldgeber keinerlei Einfluss auf den Publikationsprozess haben.» Die FSM treffe alle Forschungsentscheide unabhängig von ihren Geldgebern. Indessen stellt der Strahlenmessexperte Peter Schlegel die ketzerische Frage, warum die Schädlichkeit überhaupt weiter erforscht werde. «Sie ist bereits evident durch die vielen durch Antennen verursachten Krankheiten», sagt der ETH-Ingenieur. Immer neue Sender

Die Mobilfunkanbieter Swisscom, Sunrise und Orange geben sich hinsichtlich allfälliger Folgen der FSM-Studie gelassen. Man warte gespannt ab, sagt Swisscom-Sprecher Jürg Studerus. Unbesehen der Resultate, so Michael Burkhardt von Sunrise, lasse sich bereits jetzt sagen, dass die Bedeutung der Studie überbewertet werde. «Insbesondere hat sich die politische Einschätzung weit von der wissenschaftlichen entfernt.» Orange-Sprecherin Therese Wenger glaubt nicht an einschneidende Konsequenzen und sähe sich von neuen, für die Anbieter ungünstigen Erkenntnissen überrascht.

Wenig bekümmert forcieren die Firmen weiterhin den Bau von leistungsfähigen UMTS-Anlagen, den Handyantennen der dritten Generation. Diese können wesentlich grössere Datenmengen übertragen als die früheren GSM-Antennen - und dies erst noch viel schneller. Swisscom-Sprecher Studerus hält aber fest, dass die international vergleichsweise strengen Immissionsgrenzwerte der Schweiz den gesundheitlichen Schutz der Bevölkerung stets garantierten: Die Anlagen müssen für jeden möglichen Betriebszustand die Vorschriften der Verordnung einhalten.

Den Einwohnerinnen und Einwohnern von Ebersecken (LU) und Bottenwil (AG) sind solche theoretischen Überlegungen einerlei. Sie leben ohne Angst vor den Strahlen von Handyantennen und ungestört durch Anrufe auf Mobiltelefone. Sie haben keinen Empfang. In der 800-Seelen-Gemeinde Bottenwil verhinderte bisher privater Widerstand den Bau einer Handyantenne, Ebersecken mit seinen 400 Einwohnern wurde von den Anbietern erst gar nicht als Standort in Erwägung gezogen. Der Frieden wird vorläufig andauern, eine Antennen-Anlage ist weiterhin nicht geplant.

Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online unter: http://www.nzz.ch/2006/03/12/il/articleDNLYI.html

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