Baubewilligungsverfahren für Mobilfunkantennen, Moratorien von Gemeinden
Die Gemeinden wollen hart bleiben
lp/bob/kle/rbl. Fast alle Gemeinden, die keine neuen Mobilfunkantennen mehr bewilligen, pfeifen auf den Brief des Kantons Bern.
«Für die Stadt Bern ändert sich nichts», erklärte der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät gestern kurz und bündig. Der Gemeinderat hatte im Februar entschieden, keine Baugesuche für Antennen mehr zu bewilligen. Von diesem Moratorium sind 25 Gesuche betroffen. «Wir haben jedes einzelne sistiert», so Tschäppät. Dagegen seien bis anhin drei Beschwerden eingetroffen, die sechs Baugesuche beträfen. Auch wenn der Kanton in Einzelfällen zum Schluss komme, die Sistierung sei nicht rechtens, werde die Stadt hart bleiben. «Dann lehnen wir die Baugesuche vermutlich ab.» «Gemäss einem bereits bestehenden Bundesgerichtsurteil haben Anwohner einen Anspruch auf eine objektiv überprüfbare Einhaltung der Grenzwerte», so Tschäppät. Das von den Kantonen entwickelte Qualitätssicherungssystem erfülle diese Anforderungen nicht, da es nur alle 24 Stunden die Strahlung messe. «Es muss rund um die Uhr gemessen werden», so Tschäppät.
Auch Burgdorf will hart bleiben: «Wir werden wohl weiterhin am Moratorium festhalten», so Gemeinderat Markus Grimm. «Mit dem Schreiben des Kantons hat sich an der Situation nichts geändert.» Allerdings werde der Gemeinderat an seiner nächsten Sitzung nochmals darüber diskutieren. Die Bevölkerung sei verunsichert und habe Angst. «Wir wollen weiter auf die Resultate einer ETH-Studie warten.»
Das Parlament von Ostermundigen hat im September - gegen den Willen des Gemeinderats - eine Volksmotion «Gegen den Wildwuchs von Antennen» gutgeheißen. Man habe dem Volk keine Illusionen gemacht, so Gemeinderätin Florence Martinoia (SP): «Die Gemeinden sind zwar Bewilligungsbehörden, doch der Bund bestimmt, was zulässig ist.» Konsequent wäre ihrer Meinung nach, wenn der Bund Baugesuche selber behandeln würde. «Für mich stimmt der Weg des Kantons», sagt Langenthals Stadtpräsident Hans-Jürg Käser (FDP). Er verstehe, dass die Elemente Gesundheitsschutz und Anspruch auf eine Baubewilligung auf einen Nenner gebracht werden sollen.
Ob Langenthal, das in dieser Frage eine Pionierrolle übernommen hatte, das UMTS-Moratorium aufhebt, ist aber noch nicht sicher.
http://www.bielertagblatt.ch/article.cfm?id=211372&startrow=14&ressort=Schweiz-BE&kap=bta&job= 7921310 (Auszug)
--------
Nachhilfeunterricht für die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern
Amtsvorsteher Werner Luginbühl (SVP) scheint offensichtlich vergessen zu haben, dass im Kanton Bern am 9. April Regierungsrats- und Grossratswahlen sind und dass die Zeit der gnädigen Herrn zu Bern längstens Geschichte ist. Ansonsten er wohl nicht einen Drohbrief an die 25 Berner Gemeinden verschickt hätte, die ihre in der Kantonsverfassung verankerte Pflicht, die Gesundheit ihrer Bürger/Innen nach bestem Wissen und Gewissen zu schützen (so wahr ihnen Gott helfe), ernst nehmen und keine Mobilfunkantennen mehr bewilligen. Gigaherz empfiehlt den Berner Wählerinnen und Wählern, Herr Luginbühl am 9. April nicht mehr zu wählen.
Ein Aktivmitglied von Gigaherz hat der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern nun eine erste Lektion Fernunterricht erteilt, die wir hier gerne wiedergeben.
21.3.06
Sehr geehrte, Damen und Herren,
Bezugnehmend auf die Medienmitteilung "Baubewilligungsverfahren für Mobilfunkantennen, Moratorien von Gemeinden" möchte ich Sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 8. Februar 2006 (VB.2006.00001) hinweisen. Baugesuche für Mobilfunkanlagen können sicherlich bis Ende 2006 nicht bewilligt werden. Dies hat nichts mit der Replikation der TNO-Studie durch die ETH oder mit Gesundheitsfragen im engeren Sinn zu tun.
Das BAFU hat in einem Rundschreiben vom 16.01.2006 ein Qualitätssicherungssystem (QS-System) vorgestellt, um der bundesgerichtlichen Forderung (BGE 1A.160/2004 vom 10. März 2005) nach einer Überprüfung der effektiv abgegebenen Strahlung im Betrieb durch objektive und überprüfbare bauliche Vorkehrungen nachzukommen. Das Bundesgericht hierzu: "Die Anwohner von Mobilfunkanlagen haben jedoch ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Einhaltung der NIS-Grenzwerte durch objektive und überprüfbare bauliche Vorkehrungen gewährleistet wird."
"Selbstkontrollen" jeglicher Art sind somit unzulässig. Genau dies verkörpert jedoch das QS-System, da die Mobilfunkbetreiber faktisch Grenzwertüberschreitungen "selber" melden müssen. Dies ist weder objektiv noch überprüfbar im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung.
Das vom BAFU gewählte Vorgehen während der einjährigen Übergangsphase ohne QS-System wurde vom Verwaltungsgericht Zürich u.a. im Lichte des Bundesgerichtsurteils 1A.160/2004 als offensichtlich untauglich qualifiziert. Dies lässt im übrigen auch Rückschlüsse auf das (rechtswidrige) QS-System selbst zu, obwohl das Verwaltungsgericht Zürich zu einem anderen Ergebnis kam: "Ein Qualitätssicherungssystem dieser Art erscheint als grundsätzlich geeignetes Mittel, um die Einhaltung der ERP mit zumutbarem Aufwand zu gewährleisten." Per se mag die betreffende Aussage des Verwaltungsgerichts Zürich zutreffen, doch bleibt die Vereinbarkeit des QS-Systems mit dem Vorsorgeprinzip nach wie vor unbeantwortet. Faktisch bedeutet dies ein Baubewilligungsstopp für Mobilfunkanlagen bis Ende 2006.
Das Urteil ist unter http://www.vgrzh.ch (unter Rechtsprechung, dann Geschäftsnummer VB.2006.00001 eingeben) abrufbar.
Das Verwaltungsgericht Zürich hat unter Berufung auf die Bundesgerichtsurteile 1A.160/2004 vom 10. März 2005 und 128 II 378 E. 4S. 379 ff. und das Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern vom 18. August 2005, V 04 374, E.9, mit äusserst viel Sachkompetenz Folgendes richtigerweise erwogen:
E. 3.1.: "Das Bundesgericht hat wiederholt festgehalten, dass die im Standortdatenblatt deklarierte äquivalente Strahlungsleistung (ERP) überprüfbar sein muss; massgeblich ist dabei grundsätzlich die aufgrund der Hardwarekonfiguration der Anlage mögliche maximale ERP, das heisst die Sendeleistung bei Maximalleistung der vorgesehenen Senderendstufen und nicht ein tieferer, durch Fernsteuerung einstellbarer Wert (BGE 128 II 378 E.4 S.379 ff.; BGr, 10. März 2005, 1A.160/2004, E.3.3, www.bger.ch). Entsprechendes muss gelten für die ferngesteuert oder manuell einstellbare Senderichtung der Antennen (vgl. VGr LU, 18. August 2005, V 04 374, E. 9, http://www.lu.ch/gerichte/rechtsprechung )."
E. 3.3.: "Das System wurde jedoch noch von keinem Netzbetreiber realisiert, und das während der Übergangsphase vorgesehene Vorgehen bietet nicht dieselben Sicherheiten wie das betriebsfertige System. Zwar sollen bereits in der Übergangsphase die Daten der neuen Anlagen detailliert dokumentiert werden, doch bestehen offenbar noch keine automatisierten Überprüfungsroutinen, und eine Auditierung durch unabhängige, externe Prüfstellen ist noch nicht vorgesehen. Damit ist noch nicht deutlich, welche Sicherheiten die Netzbetreiber für das Einhalten der Sendeleistung während der Übergangsphase bieten."
Ob das QS-System letztendlich den Bundesgerichtsurteilen 1A.160/2004 und 128 II 378 entspricht, haben weder das Verwaltungsgericht Zürich, das BAFU noch der Kanton Bern, sondern hat das Bundesgericht selber zu entscheiden. Das BAFU ist keinesfalls weisungsbefugt. Die Gemeinden müssen folglich keinesfalls das (rechtswidrige) QS-System des BAFU befolgen bzw. beachten, solange das Bundesgericht noch nicht entschieden hat.
Das QS-System ist rechtswidrig, weil es Grenzwertüberschreitungen von 24 Stunden oder gar länger zulässt. Dies verstösst erstens gegen die NISV und zweitens gegen das Vorsorgeprinzip, das Verfassungsrang (Art. 74 BV) hat. Die in der NISV statuierten Anlagegrenzwerte verkörpern das Vorsorgeprinzip. Nur schon eine Grenzwertüberschreitung von einer Minute ist erstens rechtswidrig (NISV) und verstösst zweitens gegen das Vorsorgeprinzip. Daher ist das QS-System wohl offensichtlich rechtswidrig. Wie kann ein BAFU Grenzwertüberschreitungen - auch während "nur" 24 Stunden - zulassen?
Es ist unerfindlich, wieso z.B. eine Gemeinde Bern im Lichte der vorgenannten Rechtsprechung Baugesuche für Mobilfunkanlagen nicht weiterhin sistieren oder gar ablehnen darf (im Entscheid VGr. ZH vom 8. Februar 2006, VB.2006.00001, wurde die Baubewilligung aufgehoben). M.E. müsste man pendente/sistierte Baugesuche so oder anders ablehnen, weil man derartige Baugesuche noch einmal öffentlich - diesmal mit den Details bezüglich QS-System - auflegen muss. Die (technischen) Details betreffend QS-System sind ja bei allen pendenten/sistierten Baugesuchen nicht vorhanden bzw. wurden nicht/nie öffentlich aufgelegt. Darüber hinaus kann man mit einem QS-System, das noch gar nicht existiert, "nichts" bewilligen.
Mit etwas Inexistentem kann man Mobilfunkantennen-Baugesuche nicht bewilligen - auch nicht während der einjährigen Übergangsphase. Das ist die Ausgangslage. Daher das entsprechende sachlich richtige Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich. Will man das Ganze "sauber" lösen, muss man solche Baugesuche neu öffentlich mit den Details betreffend QS-System auflegen, um das rechtliche Gehör zu wahren. Solch eine Rechtsauffassung ist nicht einfach tel quel "falsch", man darf sie durchaus vertreten.
Es besteht entgegen der Medienmitteilung keinesfalls ein "Rechtsanspruch" auf Bewilligung von Mobilfunkanlagen, solange der bundesgerichtlichen Forderung, die nichts weiter als das Vorsorgeprinzip konkretisiert, nachgekommen worden ist (BGE 1A.160/2004 vom 10. März 2005). Das (rechtswidrige) QS-System ist nicht einfach "die" Lösung, die man unbedingt befolgen muss, weil das BAFU eben nicht weisungsbefugt ist und somit nur unverbindliche Empfehlungen abgeben kann.
Die Zeiten, wo man einfach in mobilfunkfreundlicher Manier von "Rechtsanspruch" und "solange die NIS-Grenzwerte eingehalten sind, müssen wir bewilligen. Wir haben keinen Ermessensspielraum" sprechen kann, sind wohl endgültig vorbei.
Sind heute - ohne QS-System - Grenzwertüberschreitungen an der Tagesordnung, wenn doch schon künftig mit einem QS-System Grenzwertüberschreitungen von "nur" 24 Stunden oder gar länger möglich sein werden...? Diese Frage stellen sich viele besorgte BürgerInnen, die das QS-System durchschaut haben. Vielleicht sind die zahlreichen gesundheitlichen Beschwerden eben gerade auf die Grenzwertüberschreitungen zurückzuführen...auch in Zukunft während "nur" 24 Stunden...
Ich bitte um Kenntnisnahme.
Mit freundlichen Grüssen
J. S.
Adresse ist der Redaktion Gigaherz bekannt
Übrigens: Die zahlreichen Berner Gemeinden, die keine Mobilfunkantennen mehr bewilligen, vorab die Stadt Bern, pfeifen auf Luginbühls Drohbrief. Im Gegenteil. Sie wollen sich jetzt zusammenschließen und ein gemeinsames Vorgehen festlegen. Bravo!
Das Ganze - mit etwas weniger juristischen Zutaten - finden sie auch unter:
Stadt Bern bewilligt weiterhin keine Mobilfunkantennen mehr!
http://www.gigaherz.ch/998 (unter Historisches) Beachten Sie bitte die weiteren in diesem Beitrag aufgeführen internen Links.
Quelle: http://www.gigaherz.ch/1011
lp/bob/kle/rbl. Fast alle Gemeinden, die keine neuen Mobilfunkantennen mehr bewilligen, pfeifen auf den Brief des Kantons Bern.
«Für die Stadt Bern ändert sich nichts», erklärte der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät gestern kurz und bündig. Der Gemeinderat hatte im Februar entschieden, keine Baugesuche für Antennen mehr zu bewilligen. Von diesem Moratorium sind 25 Gesuche betroffen. «Wir haben jedes einzelne sistiert», so Tschäppät. Dagegen seien bis anhin drei Beschwerden eingetroffen, die sechs Baugesuche beträfen. Auch wenn der Kanton in Einzelfällen zum Schluss komme, die Sistierung sei nicht rechtens, werde die Stadt hart bleiben. «Dann lehnen wir die Baugesuche vermutlich ab.» «Gemäss einem bereits bestehenden Bundesgerichtsurteil haben Anwohner einen Anspruch auf eine objektiv überprüfbare Einhaltung der Grenzwerte», so Tschäppät. Das von den Kantonen entwickelte Qualitätssicherungssystem erfülle diese Anforderungen nicht, da es nur alle 24 Stunden die Strahlung messe. «Es muss rund um die Uhr gemessen werden», so Tschäppät.
Auch Burgdorf will hart bleiben: «Wir werden wohl weiterhin am Moratorium festhalten», so Gemeinderat Markus Grimm. «Mit dem Schreiben des Kantons hat sich an der Situation nichts geändert.» Allerdings werde der Gemeinderat an seiner nächsten Sitzung nochmals darüber diskutieren. Die Bevölkerung sei verunsichert und habe Angst. «Wir wollen weiter auf die Resultate einer ETH-Studie warten.»
Das Parlament von Ostermundigen hat im September - gegen den Willen des Gemeinderats - eine Volksmotion «Gegen den Wildwuchs von Antennen» gutgeheißen. Man habe dem Volk keine Illusionen gemacht, so Gemeinderätin Florence Martinoia (SP): «Die Gemeinden sind zwar Bewilligungsbehörden, doch der Bund bestimmt, was zulässig ist.» Konsequent wäre ihrer Meinung nach, wenn der Bund Baugesuche selber behandeln würde. «Für mich stimmt der Weg des Kantons», sagt Langenthals Stadtpräsident Hans-Jürg Käser (FDP). Er verstehe, dass die Elemente Gesundheitsschutz und Anspruch auf eine Baubewilligung auf einen Nenner gebracht werden sollen.
Ob Langenthal, das in dieser Frage eine Pionierrolle übernommen hatte, das UMTS-Moratorium aufhebt, ist aber noch nicht sicher.
http://www.bielertagblatt.ch/article.cfm?id=211372&startrow=14&ressort=Schweiz-BE&kap=bta&job= 7921310 (Auszug)
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Nachhilfeunterricht für die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern
Amtsvorsteher Werner Luginbühl (SVP) scheint offensichtlich vergessen zu haben, dass im Kanton Bern am 9. April Regierungsrats- und Grossratswahlen sind und dass die Zeit der gnädigen Herrn zu Bern längstens Geschichte ist. Ansonsten er wohl nicht einen Drohbrief an die 25 Berner Gemeinden verschickt hätte, die ihre in der Kantonsverfassung verankerte Pflicht, die Gesundheit ihrer Bürger/Innen nach bestem Wissen und Gewissen zu schützen (so wahr ihnen Gott helfe), ernst nehmen und keine Mobilfunkantennen mehr bewilligen. Gigaherz empfiehlt den Berner Wählerinnen und Wählern, Herr Luginbühl am 9. April nicht mehr zu wählen.
Ein Aktivmitglied von Gigaherz hat der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern nun eine erste Lektion Fernunterricht erteilt, die wir hier gerne wiedergeben.
21.3.06
Sehr geehrte, Damen und Herren,
Bezugnehmend auf die Medienmitteilung "Baubewilligungsverfahren für Mobilfunkantennen, Moratorien von Gemeinden" möchte ich Sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 8. Februar 2006 (VB.2006.00001) hinweisen. Baugesuche für Mobilfunkanlagen können sicherlich bis Ende 2006 nicht bewilligt werden. Dies hat nichts mit der Replikation der TNO-Studie durch die ETH oder mit Gesundheitsfragen im engeren Sinn zu tun.
Das BAFU hat in einem Rundschreiben vom 16.01.2006 ein Qualitätssicherungssystem (QS-System) vorgestellt, um der bundesgerichtlichen Forderung (BGE 1A.160/2004 vom 10. März 2005) nach einer Überprüfung der effektiv abgegebenen Strahlung im Betrieb durch objektive und überprüfbare bauliche Vorkehrungen nachzukommen. Das Bundesgericht hierzu: "Die Anwohner von Mobilfunkanlagen haben jedoch ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Einhaltung der NIS-Grenzwerte durch objektive und überprüfbare bauliche Vorkehrungen gewährleistet wird."
"Selbstkontrollen" jeglicher Art sind somit unzulässig. Genau dies verkörpert jedoch das QS-System, da die Mobilfunkbetreiber faktisch Grenzwertüberschreitungen "selber" melden müssen. Dies ist weder objektiv noch überprüfbar im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung.
Das vom BAFU gewählte Vorgehen während der einjährigen Übergangsphase ohne QS-System wurde vom Verwaltungsgericht Zürich u.a. im Lichte des Bundesgerichtsurteils 1A.160/2004 als offensichtlich untauglich qualifiziert. Dies lässt im übrigen auch Rückschlüsse auf das (rechtswidrige) QS-System selbst zu, obwohl das Verwaltungsgericht Zürich zu einem anderen Ergebnis kam: "Ein Qualitätssicherungssystem dieser Art erscheint als grundsätzlich geeignetes Mittel, um die Einhaltung der ERP mit zumutbarem Aufwand zu gewährleisten." Per se mag die betreffende Aussage des Verwaltungsgerichts Zürich zutreffen, doch bleibt die Vereinbarkeit des QS-Systems mit dem Vorsorgeprinzip nach wie vor unbeantwortet. Faktisch bedeutet dies ein Baubewilligungsstopp für Mobilfunkanlagen bis Ende 2006.
Das Urteil ist unter http://www.vgrzh.ch (unter Rechtsprechung, dann Geschäftsnummer VB.2006.00001 eingeben) abrufbar.
Das Verwaltungsgericht Zürich hat unter Berufung auf die Bundesgerichtsurteile 1A.160/2004 vom 10. März 2005 und 128 II 378 E. 4S. 379 ff. und das Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern vom 18. August 2005, V 04 374, E.9, mit äusserst viel Sachkompetenz Folgendes richtigerweise erwogen:
E. 3.1.: "Das Bundesgericht hat wiederholt festgehalten, dass die im Standortdatenblatt deklarierte äquivalente Strahlungsleistung (ERP) überprüfbar sein muss; massgeblich ist dabei grundsätzlich die aufgrund der Hardwarekonfiguration der Anlage mögliche maximale ERP, das heisst die Sendeleistung bei Maximalleistung der vorgesehenen Senderendstufen und nicht ein tieferer, durch Fernsteuerung einstellbarer Wert (BGE 128 II 378 E.4 S.379 ff.; BGr, 10. März 2005, 1A.160/2004, E.3.3, www.bger.ch). Entsprechendes muss gelten für die ferngesteuert oder manuell einstellbare Senderichtung der Antennen (vgl. VGr LU, 18. August 2005, V 04 374, E. 9, http://www.lu.ch/gerichte/rechtsprechung )."
E. 3.3.: "Das System wurde jedoch noch von keinem Netzbetreiber realisiert, und das während der Übergangsphase vorgesehene Vorgehen bietet nicht dieselben Sicherheiten wie das betriebsfertige System. Zwar sollen bereits in der Übergangsphase die Daten der neuen Anlagen detailliert dokumentiert werden, doch bestehen offenbar noch keine automatisierten Überprüfungsroutinen, und eine Auditierung durch unabhängige, externe Prüfstellen ist noch nicht vorgesehen. Damit ist noch nicht deutlich, welche Sicherheiten die Netzbetreiber für das Einhalten der Sendeleistung während der Übergangsphase bieten."
Ob das QS-System letztendlich den Bundesgerichtsurteilen 1A.160/2004 und 128 II 378 entspricht, haben weder das Verwaltungsgericht Zürich, das BAFU noch der Kanton Bern, sondern hat das Bundesgericht selber zu entscheiden. Das BAFU ist keinesfalls weisungsbefugt. Die Gemeinden müssen folglich keinesfalls das (rechtswidrige) QS-System des BAFU befolgen bzw. beachten, solange das Bundesgericht noch nicht entschieden hat.
Das QS-System ist rechtswidrig, weil es Grenzwertüberschreitungen von 24 Stunden oder gar länger zulässt. Dies verstösst erstens gegen die NISV und zweitens gegen das Vorsorgeprinzip, das Verfassungsrang (Art. 74 BV) hat. Die in der NISV statuierten Anlagegrenzwerte verkörpern das Vorsorgeprinzip. Nur schon eine Grenzwertüberschreitung von einer Minute ist erstens rechtswidrig (NISV) und verstösst zweitens gegen das Vorsorgeprinzip. Daher ist das QS-System wohl offensichtlich rechtswidrig. Wie kann ein BAFU Grenzwertüberschreitungen - auch während "nur" 24 Stunden - zulassen?
Es ist unerfindlich, wieso z.B. eine Gemeinde Bern im Lichte der vorgenannten Rechtsprechung Baugesuche für Mobilfunkanlagen nicht weiterhin sistieren oder gar ablehnen darf (im Entscheid VGr. ZH vom 8. Februar 2006, VB.2006.00001, wurde die Baubewilligung aufgehoben). M.E. müsste man pendente/sistierte Baugesuche so oder anders ablehnen, weil man derartige Baugesuche noch einmal öffentlich - diesmal mit den Details bezüglich QS-System - auflegen muss. Die (technischen) Details betreffend QS-System sind ja bei allen pendenten/sistierten Baugesuchen nicht vorhanden bzw. wurden nicht/nie öffentlich aufgelegt. Darüber hinaus kann man mit einem QS-System, das noch gar nicht existiert, "nichts" bewilligen.
Mit etwas Inexistentem kann man Mobilfunkantennen-Baugesuche nicht bewilligen - auch nicht während der einjährigen Übergangsphase. Das ist die Ausgangslage. Daher das entsprechende sachlich richtige Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich. Will man das Ganze "sauber" lösen, muss man solche Baugesuche neu öffentlich mit den Details betreffend QS-System auflegen, um das rechtliche Gehör zu wahren. Solch eine Rechtsauffassung ist nicht einfach tel quel "falsch", man darf sie durchaus vertreten.
Es besteht entgegen der Medienmitteilung keinesfalls ein "Rechtsanspruch" auf Bewilligung von Mobilfunkanlagen, solange der bundesgerichtlichen Forderung, die nichts weiter als das Vorsorgeprinzip konkretisiert, nachgekommen worden ist (BGE 1A.160/2004 vom 10. März 2005). Das (rechtswidrige) QS-System ist nicht einfach "die" Lösung, die man unbedingt befolgen muss, weil das BAFU eben nicht weisungsbefugt ist und somit nur unverbindliche Empfehlungen abgeben kann.
Die Zeiten, wo man einfach in mobilfunkfreundlicher Manier von "Rechtsanspruch" und "solange die NIS-Grenzwerte eingehalten sind, müssen wir bewilligen. Wir haben keinen Ermessensspielraum" sprechen kann, sind wohl endgültig vorbei.
Sind heute - ohne QS-System - Grenzwertüberschreitungen an der Tagesordnung, wenn doch schon künftig mit einem QS-System Grenzwertüberschreitungen von "nur" 24 Stunden oder gar länger möglich sein werden...? Diese Frage stellen sich viele besorgte BürgerInnen, die das QS-System durchschaut haben. Vielleicht sind die zahlreichen gesundheitlichen Beschwerden eben gerade auf die Grenzwertüberschreitungen zurückzuführen...auch in Zukunft während "nur" 24 Stunden...
Ich bitte um Kenntnisnahme.
Mit freundlichen Grüssen
J. S.
Adresse ist der Redaktion Gigaherz bekannt
Übrigens: Die zahlreichen Berner Gemeinden, die keine Mobilfunkantennen mehr bewilligen, vorab die Stadt Bern, pfeifen auf Luginbühls Drohbrief. Im Gegenteil. Sie wollen sich jetzt zusammenschließen und ein gemeinsames Vorgehen festlegen. Bravo!
Das Ganze - mit etwas weniger juristischen Zutaten - finden sie auch unter:
Stadt Bern bewilligt weiterhin keine Mobilfunkantennen mehr!
http://www.gigaherz.ch/998 (unter Historisches) Beachten Sie bitte die weiteren in diesem Beitrag aufgeführen internen Links.
Quelle: http://www.gigaherz.ch/1011
rudkla - 23. Mär, 12:55