"Politik für das Risiko Mobilfunk sensibilisieren"
Podiumsdiskussion in Unterensingen: Bürger fordern von Parteien besseren Schutz
UNTERENSINGEN. Fast jeder hat heute ein Handy. Deutschland hat sich im Laufe der vergangenen Jahre zu einer Gesellschaft der mobilen Kommunikation entwickelt. Ein Trend, der auch Risiken birgt. Keiner weiß heute genau, was für Risiken Mobilfunk birgt: „Wir befinden uns in einem riesigen Feldversuch“, sagt Jürgen Groschupp vom Mobilfunk Bürgerforum. In der Politik ist das Reizthema allerdings bisher eher unter den Teppich gekehrt worden, meinen die, die zu einem umsichtigeren Umgang und vor allem einem Schutz der Bevölkerung vor möglichen Gesundheitsgefahren mahnen. Grund für fünf Bürgerinitiativen aus der Region, vor den anstehenden Landtagswahlen am 26. März im Rahmen einer großen Podiumsdiskussion am Donnerstagabend im Unterensinger Udeon Kandidaten aus fünf Parteien auf den Zahn zu fühlen.
NICOLE MOHN
Das Thema Mobilfunk bewegt. Dafür war die gemeinsame Veranstaltung der Ortsvereine des Dachvereins Mobilfunk Bürgerforum aus Raidwangen, Neckartenzlingen und Umgebung, Neckarhausen, Unterensingen und Großbettlingen ein erneuter Beleg. Gut 180 Zuhörer waren in die Gemeindehalle nach Unterensingen gekommen, wo derzeit um den geplanten Standort für einen Sendemast in der Kelterstraße 1 gerungen wird.
Ein Handy haben sowohl Nils Schmid, Landtagsabgeordneter der SPD, als auch Thaddäus Kunzmann, Zweitbewerber für den CDU-Abgeordneten Jörg Döpper, eigentlich ständig dabei. Judith Skudelny von der FDP benutzt ihres sogar als Wecker. Viel Gedanken, sagt sie, hat sie sich über die Technik vor diesem Abend nicht gemacht. Auch Thomas Mitsch, Direktbewerber für die Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), nutzt sein mobiles Telefon regelmäßig. Auf das Dach der Wohnanlage, in der er lebt, sollte gar ein Sender installiert werden. „Ich bin froh, dass die Eigentümerversammlung dies abgelehnt hat“, erklärt er.
Ingrid Grischtschenko (Bündnis 90/Die Grünen) pflegt einen kritisch-distanzierten Umgang mit den mobilen Telefonen. Sie selbst besitzt keines, ihre Kinder sehr wohl. „Ich ärgere mich, wenn die zu Hause klingeln“, bricht sie eine Lanze für das Festnetz.
Das Risiko Mobilfunk beurteilen die Parteivertreter recht unterschiedlich. „Die Unbedenklichkeit dieser Technik werden Sie nie beweisen können“, meint Kunzmann. Die überwiegende Zahl der Untersuchungen gebe aber derzeit keinen Hinweis, dass Mobilfunk mit einem Risiko verbunden sei. Der Staat achte die Gesundheit als hohes Gut, Politik reagiere aber nicht auf „Vermutungen einer Minderheit“. Gebe es den Nachweis, werde die Politik aber sofort reagieren. Die vom Christdemokraten zitierten Studien sieht Jürgen Groschupp, Zweiter Vorsitzender des Dachverbandes Mobilfunk Bürgerforum, unter einem kritischeren Blick: „Es kommt immer darauf an, wer die Studie bezahlt.“ Von einer Entwarnung kann seiner Ansicht nach nicht die Rede sein. Deutliches Indiz dafür, dass Handy-Strahlung keineswegs harmlos ist, sind für ihn die Beobachtungen der Ärzte und ihre Patientendaten. Und die seien alarmierend.
Schmid betonte, Politik habe diese Sorgen bereits aufgenommen – das zeige die Verstärkung der Forschungsarbeit. Handlungsbedarf sieht er vor allem bei den Regelungen für die Masten. „Den Umgang mit DECT-Anlagen oder Handys hat jeder selbst in der Hand“, meint er. Für ihn liegt die Herausforderung deshalb vor allem darin, wie die Grenzwerte für die Sender festgelegt werden.
„Kein leichter Ausstieg“
Die FDP-Zweitkandidatin Judith Skudelny, die im Leinfelder Gemeinderat sitzt, sieht das ähnlich. Vor allem bestehe Bedarf, das Thema in die Breite zu tragen. „Es muss eine Sensibilisierung stattfinden. Auch in der Politik“, meint sie. Ihre grüne Stadtratskollegin Grischtschenko hält es indes für vermessen zu glauben, es gebe einen leichten Ausstieg aus der Technik: „Bedenken Sie, wie viele Tote und Verletzte Autos verursachen – und trotzdem denkt keiner daran, auszusteigen.“ Der WASG-Kandidat ging sogar noch weiter: Die Regierung habe sich mit den Einnahmen aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen erpressbar gemacht. Es sei nicht gut, das Thema zu bagatellisieren, so Mitsch. Eine Kritik, die Vertreter des Mobilfunk Bürgerforums teilen.
Gerade der stark steigende Mastenbau für die neue Technik, die schnellen Datentransfer, Mobil-Fernsehen und ähnliche Spielereien ermöglicht, werde sich nicht wie bei der herkömmlichen Technik über den Markt regeln.
„Die Masten sind vor der Nachfrage da“, so Groschupp. Dabei könnten sich derzeit lediglich 5,4 Prozent der Handy-Nutzer überhaupt vorstellen, das neue Angebot auch zu nutzen. Die Gesundheitsrisiken aber müssten alle tragen. Für ihn ein Irrwitz. Die an den Verkauf gebundenen Verpflichtungen hätten den Staat in Zugzwang gesetzt, die Voraussetzungen für eine flächendeckende Versorgung zu schaffen, erinnert er an die Änderung der Landesbauordnungen. Damit seien den Kommunen die letzten Instrumente genommen worden, mitzubestimmen, wo Sendeanlagen entstehen, kritisierte Moderator Bert Hauser eine „Rechtlosigkeit der Bürger und Kommunalpolitik“.
Der freie Journalist und ehemalige Fernsehredakteur des SWR, der im Altenrieter Gemeinderat vehement gegen den Bau von Mobilfunkmasten insbesondere mit UMTS-Technik eintritt (wir berichteten), tat sich an diesem Abend schwer, seine Rolle als Moderator neutral auszufüllen. Immer wieder griff er selbst aktiv in die Debatte ein – zum Unmut Kunzmanns und etlicher Zuhörer. Zwar sagten Schmid als auch die Grünen-Vertreterin zu, im Falle eines Regierungswechsels das Thema Bauordnung wieder aufzunehmen, weitgehend einig war sich das Podium allerdings, dass dies nicht das Hauptinstrument sein könne. Die Bundesimmissionsschutzverordnung sei dazu derzeit aber ein „nutzloses Instrument“, machte Groschupp die Verantwortung von Politik und Staat nochmals deutlich: „Sie regelt nur den thermischen Grenzwert, berücksichtigt aber nicht die biologische Wirkung.“
„Seien Sie etwas kritischer“
Die Mehrheit der Zuhörer, das machte der Abend klar, fühlt sich derzeit in ihrer Sorge von der Politik nicht ernst genug genommen. „Seien Sie etwas kritischer“, forderte ein Besucher die Vertreter der großen Volksparteien auf. Hingewiesen wurde ebenso mehrfach darauf, dass in anderen Ländern wie der Schweiz weitaus geringere Sendeleistungen vorgeschrieben sind. 10 000 Mikrowatt gelten in Russland als Höchstgrenze, 1000 Mikrowatt sieht der Salzburger Vorsorgewert vor. Der Autobauer BMW verlange gar eine Höchstbelastung von maximal 100 Mikrowatt pro Quadratmeter, so Hauser. In Japan dürfen Jugendliche erst ab 15 Jahren ein Mobiltelefon haben.
Dinge, da war sich die Mehrzahl der Zuhörer einig, die auch die deutsche Politik längst wachgerüttelt haben müssten. „Ich erwarte von der Politik, das Gesundheitsrisiko durch Mobilfunk wirklich ernst zu nehmen“, so ein deutlicher Appell aus dem Plenum.
http://www.ntz.de/lokalnachrichten/umland/index.php?action=shownews&id=631923
UNTERENSINGEN. Fast jeder hat heute ein Handy. Deutschland hat sich im Laufe der vergangenen Jahre zu einer Gesellschaft der mobilen Kommunikation entwickelt. Ein Trend, der auch Risiken birgt. Keiner weiß heute genau, was für Risiken Mobilfunk birgt: „Wir befinden uns in einem riesigen Feldversuch“, sagt Jürgen Groschupp vom Mobilfunk Bürgerforum. In der Politik ist das Reizthema allerdings bisher eher unter den Teppich gekehrt worden, meinen die, die zu einem umsichtigeren Umgang und vor allem einem Schutz der Bevölkerung vor möglichen Gesundheitsgefahren mahnen. Grund für fünf Bürgerinitiativen aus der Region, vor den anstehenden Landtagswahlen am 26. März im Rahmen einer großen Podiumsdiskussion am Donnerstagabend im Unterensinger Udeon Kandidaten aus fünf Parteien auf den Zahn zu fühlen.
NICOLE MOHN
Das Thema Mobilfunk bewegt. Dafür war die gemeinsame Veranstaltung der Ortsvereine des Dachvereins Mobilfunk Bürgerforum aus Raidwangen, Neckartenzlingen und Umgebung, Neckarhausen, Unterensingen und Großbettlingen ein erneuter Beleg. Gut 180 Zuhörer waren in die Gemeindehalle nach Unterensingen gekommen, wo derzeit um den geplanten Standort für einen Sendemast in der Kelterstraße 1 gerungen wird.
Ein Handy haben sowohl Nils Schmid, Landtagsabgeordneter der SPD, als auch Thaddäus Kunzmann, Zweitbewerber für den CDU-Abgeordneten Jörg Döpper, eigentlich ständig dabei. Judith Skudelny von der FDP benutzt ihres sogar als Wecker. Viel Gedanken, sagt sie, hat sie sich über die Technik vor diesem Abend nicht gemacht. Auch Thomas Mitsch, Direktbewerber für die Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), nutzt sein mobiles Telefon regelmäßig. Auf das Dach der Wohnanlage, in der er lebt, sollte gar ein Sender installiert werden. „Ich bin froh, dass die Eigentümerversammlung dies abgelehnt hat“, erklärt er.
Ingrid Grischtschenko (Bündnis 90/Die Grünen) pflegt einen kritisch-distanzierten Umgang mit den mobilen Telefonen. Sie selbst besitzt keines, ihre Kinder sehr wohl. „Ich ärgere mich, wenn die zu Hause klingeln“, bricht sie eine Lanze für das Festnetz.
Das Risiko Mobilfunk beurteilen die Parteivertreter recht unterschiedlich. „Die Unbedenklichkeit dieser Technik werden Sie nie beweisen können“, meint Kunzmann. Die überwiegende Zahl der Untersuchungen gebe aber derzeit keinen Hinweis, dass Mobilfunk mit einem Risiko verbunden sei. Der Staat achte die Gesundheit als hohes Gut, Politik reagiere aber nicht auf „Vermutungen einer Minderheit“. Gebe es den Nachweis, werde die Politik aber sofort reagieren. Die vom Christdemokraten zitierten Studien sieht Jürgen Groschupp, Zweiter Vorsitzender des Dachverbandes Mobilfunk Bürgerforum, unter einem kritischeren Blick: „Es kommt immer darauf an, wer die Studie bezahlt.“ Von einer Entwarnung kann seiner Ansicht nach nicht die Rede sein. Deutliches Indiz dafür, dass Handy-Strahlung keineswegs harmlos ist, sind für ihn die Beobachtungen der Ärzte und ihre Patientendaten. Und die seien alarmierend.
Schmid betonte, Politik habe diese Sorgen bereits aufgenommen – das zeige die Verstärkung der Forschungsarbeit. Handlungsbedarf sieht er vor allem bei den Regelungen für die Masten. „Den Umgang mit DECT-Anlagen oder Handys hat jeder selbst in der Hand“, meint er. Für ihn liegt die Herausforderung deshalb vor allem darin, wie die Grenzwerte für die Sender festgelegt werden.
„Kein leichter Ausstieg“
Die FDP-Zweitkandidatin Judith Skudelny, die im Leinfelder Gemeinderat sitzt, sieht das ähnlich. Vor allem bestehe Bedarf, das Thema in die Breite zu tragen. „Es muss eine Sensibilisierung stattfinden. Auch in der Politik“, meint sie. Ihre grüne Stadtratskollegin Grischtschenko hält es indes für vermessen zu glauben, es gebe einen leichten Ausstieg aus der Technik: „Bedenken Sie, wie viele Tote und Verletzte Autos verursachen – und trotzdem denkt keiner daran, auszusteigen.“ Der WASG-Kandidat ging sogar noch weiter: Die Regierung habe sich mit den Einnahmen aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen erpressbar gemacht. Es sei nicht gut, das Thema zu bagatellisieren, so Mitsch. Eine Kritik, die Vertreter des Mobilfunk Bürgerforums teilen.
Gerade der stark steigende Mastenbau für die neue Technik, die schnellen Datentransfer, Mobil-Fernsehen und ähnliche Spielereien ermöglicht, werde sich nicht wie bei der herkömmlichen Technik über den Markt regeln.
„Die Masten sind vor der Nachfrage da“, so Groschupp. Dabei könnten sich derzeit lediglich 5,4 Prozent der Handy-Nutzer überhaupt vorstellen, das neue Angebot auch zu nutzen. Die Gesundheitsrisiken aber müssten alle tragen. Für ihn ein Irrwitz. Die an den Verkauf gebundenen Verpflichtungen hätten den Staat in Zugzwang gesetzt, die Voraussetzungen für eine flächendeckende Versorgung zu schaffen, erinnert er an die Änderung der Landesbauordnungen. Damit seien den Kommunen die letzten Instrumente genommen worden, mitzubestimmen, wo Sendeanlagen entstehen, kritisierte Moderator Bert Hauser eine „Rechtlosigkeit der Bürger und Kommunalpolitik“.
Der freie Journalist und ehemalige Fernsehredakteur des SWR, der im Altenrieter Gemeinderat vehement gegen den Bau von Mobilfunkmasten insbesondere mit UMTS-Technik eintritt (wir berichteten), tat sich an diesem Abend schwer, seine Rolle als Moderator neutral auszufüllen. Immer wieder griff er selbst aktiv in die Debatte ein – zum Unmut Kunzmanns und etlicher Zuhörer. Zwar sagten Schmid als auch die Grünen-Vertreterin zu, im Falle eines Regierungswechsels das Thema Bauordnung wieder aufzunehmen, weitgehend einig war sich das Podium allerdings, dass dies nicht das Hauptinstrument sein könne. Die Bundesimmissionsschutzverordnung sei dazu derzeit aber ein „nutzloses Instrument“, machte Groschupp die Verantwortung von Politik und Staat nochmals deutlich: „Sie regelt nur den thermischen Grenzwert, berücksichtigt aber nicht die biologische Wirkung.“
„Seien Sie etwas kritischer“
Die Mehrheit der Zuhörer, das machte der Abend klar, fühlt sich derzeit in ihrer Sorge von der Politik nicht ernst genug genommen. „Seien Sie etwas kritischer“, forderte ein Besucher die Vertreter der großen Volksparteien auf. Hingewiesen wurde ebenso mehrfach darauf, dass in anderen Ländern wie der Schweiz weitaus geringere Sendeleistungen vorgeschrieben sind. 10 000 Mikrowatt gelten in Russland als Höchstgrenze, 1000 Mikrowatt sieht der Salzburger Vorsorgewert vor. Der Autobauer BMW verlange gar eine Höchstbelastung von maximal 100 Mikrowatt pro Quadratmeter, so Hauser. In Japan dürfen Jugendliche erst ab 15 Jahren ein Mobiltelefon haben.
Dinge, da war sich die Mehrzahl der Zuhörer einig, die auch die deutsche Politik längst wachgerüttelt haben müssten. „Ich erwarte von der Politik, das Gesundheitsrisiko durch Mobilfunk wirklich ernst zu nehmen“, so ein deutlicher Appell aus dem Plenum.
http://www.ntz.de/lokalnachrichten/umland/index.php?action=shownews&id=631923
rudkla - 18. Mär, 12:50