Wann heilt der schwere Euro-Systemfehler den politischen Denkfehler?

Auch die neue Bundesregierung weigert sich, den schweren Euro-Systemfehler anzuerkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Bundesfinanzminister Steinbrück will einem verschärften Defizitverfahren gegen Deutschland, herbeigezwungen durch ein anhaltendes Haushaltsdefizit, dadurch entgehen, daß er der EU-Kommission vorschreiben möchte, auch die Leistungsbilanz und die Inflationsrate Deutschlands zu berücksichtigen. Im »Spiegel« liest man den verräterischen, doch nur ökonomischen Fachleuten verständlichen Hinweis, daß, finanziell gesehen, ein Leistungsbilanzüberschuß, wie ihn Deutschland erzielt, einer billigen Kreditgewährung an importierende Länder gleichkomme. Das ist ein verschlüsselter Hinweis und verschämtes Eingeständnis des Euro-Systemfehlers, wie er in diesem WALTHARI-Portal wiederholt beschrieben wurde, zuletzt am 20. August 2005. Resigniert stellt die EZB in ihrem Dezemberbericht 2005 fest (S. 69 f.): »Im Jahr 2005 wurden im Euro-Währungsgebiet kaum Fortschritte bei der Erreichung einer soliden Haushaltslage erzielt... Defizite in Höhe oder oberhalb des Referenzwerts von 3 % des BIP werden für fünf Länder (Deutschland, Griechenland, Frankreich, Italien und Portugal) erwartet. Damit hätten mit Ausnahme Portugals alle genannten Staaten während des größeren Teils der Zeit seit der Euro-Einführung im Jahr 1999 einen Haushaltsfehlbetrag oberhalb des Referenzwerts verzeichnet.« Auch hiermit wird indirekt der Strukturfehler bestätigt, zu dessen Klarstellung der WALTHARI-Beitrag hier nochmals abgedruckt wird. © WALTHARI® – Aus: http://www.walthari.com



20. August 2005

»Deutschland wird die Währungsunion verlassen« - Folge eines schweren, unheilbaren Systemfehlers -

Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer

1

Man muß nicht erst Wirtschaftswissenschaft studiert haben, um zu bemerken, daß am System der europäischen Einheitswährung etwas nicht stimmt. Es ist keineswegs die angeblich nur gefühlte Geldentwertung, welche die Deutschen veranlassen, den Euro als Risikowährung zu betrachten. Mag man noch so häufig auf offiziellen Statistiken hinweisen, der Warenkorb der Haushalte verzeichnet zahlreiche Preisausreißer, die täglich ins Auge fallen. Man braucht dazu nur den einstigen Preis für eine Tasse Kaffee mit demjenigen in Euro zu vergleichen oder die Friseurrechnungen von ehemals und heute. Die Realeinkommen der Haushalte sind nicht allein infolge von Steuern, Sozialabgaben und Lohnzurückhaltung gesunken, das Einkommen hat auch durch Preissteigerungen von eurobepreisten Konsumartikeln an Kaufkraft eingebüßt. Hinzu kommt die meist übersehene sog. Asset-Price-Inflation, d.h. Preissteigerungen für Vermögensbestände (Häuser, Aktien, Rentenpapiere u.ä.): Je Euro kann immer weniger volkswirtschaftliches Vermögen erstanden werden, eine Inflationsseite, die beträchtlich zu Buche schlägt. Kein Wunder also, daß laut Umfrage 2005 mehr als 54 Prozent der Deutschen sich die DM zurückwünschen. Daß dieser Vertrauensentzug noch Jahre nach der Euroeinführung besteht, belegt, auf welch brüchigem psychologischem Fundament die Einheitswährung ruht.

Die überwiegende Ablehnung ist aber auch sachlich wohlbegründet. So ist unbestreitbar, daß das deutsche Wirtschaftswachstum seit dem Währungsbruch schwächer ist als in kleineren Euro-Ländern, die vom Währungswechsel offenbar systembedingt profitieren (die Erklärung weiter unten). Ausgerechnet die größte Volkswirtschaft in Europa ist durch die Einheitswährung ins Hintertreffen geraten und zahlt den Preis für eine politische Fehlentscheidung. Denn der Euro ist ein Wunschkind der politischen Klasse, die über die Preisgabe der DM wohlweislich nicht mit Volksentscheid hat befinden lassen. Verräterisch, was Josef Deiss, Bundespräsident und Wirtschaftsminister der Schweiz, am 22. Nov. 2004 im ›Handelsblatt‹ zu Protokoll gab. Auf die Frage: »Würden Sie bei einem Beitritt (zur EU) auch Ihre eigene Währung aufgeben?« antwortete Deiss: »Nein. Bei uns ist eine eigene Währungspolitik möglich, was zur Folge hat, dass wir niedrigere Zinsen haben als in der EU. Das ist ein Vorteil. Die währungspolitische Eigenständigkeit hat mehr Vorteile als Nachteile.« Das trifft den Nagel auf den Kopf. Daß dieser Sachverhalt offenbar nur gelernte Ökonomen sofort durchschauen, war bisher ein willkommener Schutz vor noch mehr Ablehnung. Doch auch ohne Aufklärung bröckelt die Eurofront: »Dieser Euro ist ein Desaster« für Italien, ließ sich Ministerpräsident Berlusconi im Juli 2005 vernehmen. Noch entlarvender sind die Analyse-Ergebnisse der zweitgrößten Bank der Welt. In ihrer Studie ›European Meltdown‹ (2005) legen die Fachleute der Londoner HSBC offen, was auf den Kontinent öffentlich kaum jemand zu diskutieren wagt: daß nämlich der Einheitszinssatz in der Währungsunion Deutschland systematisch benachteiligt. Er bremst das Wirtschaftswachstum um 1,4 Prozent und birgt die Gefahr der Deflation. Die HSBC-Analysten rechnen damit, daß Deutschland in den nächsten fünf bis zehn Jahren gezwungen sein werde, die Währungsunion zu verlassen. Beschleunigt werde dieser Prozeß durch mögliche Zahlungsunfähigkeit mancher Mitglieder und durch Protektionismus. Ein Blick auf den Haushaltsentwurf des Bundes für 2006 zeigt, daß für die Tilgung allein der Bundesschulden der zweithöchste Posten angesetzt werden muß (41 Mrd. Euro). Schweden, Norwegen, England und die Schweiz, die dem Euro abhold sind, stehen seit Jahren wirtschaftlich weit besser da als Deutschland. Warum?

2

Um den Mechanismus der systematischen Benachteiligung Deutschlands besser zu verstehen, muß man sich die Lage vor der Euro-Einführung kurz klarmachen. Jedes Land hatte seine eigene Währung und war für deren Stabilität selber verantwortlich. Kam es zu übermäßigen Geldentwertungen, wurde dies im Außenverkehr automatisch über die Devisen- und Zinsmärkte abgestraft. Italiener mußten z.B. für ihre inflationierende Währung immer mehr Lire für eine DM hinlegen, und auch die Zinsen für Kredite aus dem Ausland waren risikobedingt höher als in Deutschland. Deutsche Verbraucher und Unternehmen wurden also mit niedrigeren Zinsen und angepaßten Devisenkursen für ihre Währungsdisziplin belohnt, auch Investitionen auf Kredit waren zinsgünstig. Mit der Einführung der Einheitswährung trat ein anderer Mechanismus in Kraft: Die Europäische Zentralbank (EZB) kann bei einer Einheitswährung nur einheitliche Zinsen für alle Euro-Mitglieder verordnen. Die EZB ist aber außerstande, die nach wie vor bestehenden unterschiedlichen Inflationsraten (durch eingefleischte Konsum- und Spargewohnheiten usw.) ebensowenig zu verhindern wie unterschiedliche Fiskalpolitiken, deren Schuldenmachen in der politischen (Steuer-)Hoheit der einzelnen Länder verbleibt. Die Kreditzinsen lagen (im Durchschnitt) vor der Euro-Einführung in Griechenland bei 15,7 Prozent, danach bei nur 5,2 Prozent. Italien gewann durch den Euro einen (unverdienten) Zinsgewinn von 4,4 Prozent, Irland von 2,3 Prozent, Spanien von 3,8 Prozent, Finnland von 3,0 Prozent und Portugal von 4,0 Prozent. Deutschland hingegen und die Niederlande konnten als ehemalige Hartwährungsländer nur 1,5 Prozent verbuchen. Da in der Ökonomie vornehmlich die relativen und nicht so sehr die absoluten Differenzen zählen, ist der Unterschied zwischen 1,5 und den höheren Werten gravierend: Da die EZB für alle Länder den gleichen Basiszinssatz vorgibt, können Investitionen in stärker inflationierenden Ländern mit geringeren Realzinsen finanziert werden, womit deren Wachstum dasjenige in Deutschland übertrifft, weil hierzulande höhere Zinskosten anfallen, als es nach der Bonitätslage erforderlich wäre. Hauptsächlich Deutschland zahlt also fortwährend (!) den Preis für das Währungsabenteuer. Mit mehreren Milliarden Euro jährlich an versteckten Zinssubventionen, die systembedingt nicht zu unterbinden sind, ermöglicht Deutschland unrealistische Realzinsen in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien. Den zusätzlichen Wachstumseffekt in Spanien schätzen Fachleute auf 3,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während der Zinsnachteil den Deutschen 1,4 Prozent an fehlendem Wirtschaftswachstum kostet, in Euro ausgedrückt: rund dreißig Mrd. jährlich. Den Systemfehler kann die EZB nicht beseitigen, sie müßte sonst unterschiedliche Länderzinsen gewähren, was vertraglich nicht geht und faktisch die Auflösung der Einheitswährung bedeuten würde. Die internationalen Finanzmärkte sehen die ehemaligen Schwachwährungsländer durch den deutschen Subventionsmeister bonitätsmäßig abgesichert und verzichten auf einen Risikoaufschlag, für den die Deutschen klammheimlich geradestehen.

Dieser für Laien schwer durchschaubare Mechanismus läßt Fachleute (nicht nur bei der HSBC) darüber nachdenken, wie lange Deutschland seine Benachteiligung hinnehmen kann. Rechtlich ist ein Austritt aus der Währungsunion möglich, wirtschaftlich sträuben sich hauptsächlich die Konzerne dagegen (als Globalisierer bringt ihnen der Euro nur Nutzen), und politisch hat sich eine makabre Verteidigungsfront aufgebaut. Als nach den Abstimmungsniederlagen in Frankreich und Holland (über die EU-Verfassung) auch der Euro infrage gestellt wurde, bezeichnete der französische EZB-Präsident die Diskussion als »kompletten Unsinn« - kein Wunder: Frankreich profitiert vor allem politisch von der Währungsunion; es hatte als Preis für seine Zustimmung zur Wiedervereinigung von Deutschland verlangt, daß es seine europäische Dominanzwährung, die DM, aufgibt (›Sieg ohne Waffen‹ triumphierten Pariser Medien). Deutsche Politiker aller Parteien finden keinen Mut zur offenen argumentativen Diskussion, nicht einmal angesichts der Tatsache, daß der Stabilitäts- und Wachstumspakt hinfällig geworden ist. Was an Euro-Vorteilen einst angepriesen wurde, hat sich nicht erfüllt: weder höheres Wachstum noch niedrigere Arbeitslosigkeit, weder geringereWährungsschwankungen noch mehr Welthandel (vgl. den jüngsten Textilprotektionismus der EU), weder eine stärkere Position gegenüber Wall Street noch höhere Arbeitnehmergewinne (durch Migration, Lohn- und Rechtsangleichung). Während der Ifo-Chef Prof. H.W. Zinn den verlorenen Zinsvorteil zugibt, vernebelt der ›Wirtschaftsweise‹ Prof. Peter Befinger die Sachlage: »Es wäre ohne den Euro noch schlimmer.« Zu den beschwerenden Fakten zählen außerdem noch: Der Bundesbankgewinn, im Jahre 1997 noch etwa 25 Mrd. DM, sank im Jahre 2004 auf 0,676 Mrd. Euro. Nicht genau zu beziffern (weil mehrursächlich) sind die gewaltigen Verluste durch erzwungenen Lohnverzicht und durch Wegfall von Arbeitsplätzen (auch infolge eines zu geringen Wachstums).

Man fragt sich: Welchen selbstmörderischen Mut muß man aufbringen, um den Euro als Gewinn für Deutschland anpreisen zu können? Es ist keinem der Verantwortlichen erlaubt, sich mit Unwissenheit herauszureden. Prof. W. Hankel und andere (vgl. die Kritiken in diesem WALTHARI-Portal: beginnend am 20. Juli 2001, danach etwa ein Dutzend Beiträge) haben von Anfang an den Systemfehler und die vielfachen Nachteile für Deutschland (vgl. oben) aufgezeigt. Es ist mehr als nur erstaunlich, daß die kostspielige Benachteiligung Deutschlands im Eurosystem nicht einmal im gegenwärtigen Wahlkampf eine Rolle spielt. Die Unaufgeklärtheit der Wähler erlaubt es der politischen Klasse, das Thema zu tabuisieren, obschon es jedem einzelnen deutschen Bürger seit Jahren teuer zu stehen kommt und in Zukunft ein »Super-GAU« (Joachim Fels, Morgan Stanley) ... © WALTHARI® – Aus: http://www.walthari.com


Nachricht von Gerd Zesar

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