Antennenmoratorium bleibt

HLV INFO 26/AT

24-02-2006

Volker Hartenstein, MdL a.D. 23-02-06

Antennenmoratorium bleibt

Dem Stadtpräsidenten genügt das vom Bundesamt für Umwelt empfohlene Kontrollsystem für Mobilfunkantennen nicht

Berns Stadtpräsident Alexander Tschäppät setzt sich über Empfehlungen des Bundesamts für Umwelt hinweg und bewilligt weiterhin keine Baugesuche für Mobilfunkantennen.

Biel hingegen erteilt wieder solche, Thun wohl bald.

Sendeleistung von Mobilfunkantennen genau prüfen. / frz

Swisscom, Orange und Sunrise haben sich verpflichtet, Ende 2006 ein System einzuführen, das mit Computertechnik vollautomatisch die Sendeleistung und den Neigungswinkel aller Mobilfunkantennen im Land überprüft. So soll garantiert werden, dass keine Anlage die von den Behörden in den Baubewilligungen vermerkten Maximalwerte überschreitet. Dieser Entscheid geht auf ein Urteil des Bundesgerichts vom letzten März zu einer Antenne in Bolligen zurück.

«Sistierte Bewilligungsverfahren werden damit deblockiert», hiess es noch am 17. Januar in den Zeitungen. Sie bezogen sich auf die Empfehlung des Bundesamts für Umwelt, welches das so genannte Qualitätssicherungssystem als zweckmässig erachtet, und auf Empfehlungen der kantonalen Fachleute. Auch das kantonale Amt für Wirtschaft (Beco) schrieb Mitte Januar den Regierungsstatthaltern und den Gemeinden mit Baubewilligungskompetenzen, dass sie wieder Antennen genehmigen könnten, und hob sein eigenes Bewilligungsmoratorium vom November auf.

Einmal pro Tag genügt nicht

Gestern hat aber die Stadt Bern mitgeteilt, dass die Präsidialdirektion auch weiterhin keine Mobilfunkanlagen bewilligen wird. Sie sei der Meinung, «dass dieses vorgeschlagene Verfahren zur Kontrolle der Einhaltung der Grenzwerte den Anforderungen des Bundesgerichts nicht genügt und somit der Anspruch der Anwohnerinnen und Anwohner nicht erfüllt ist». Stadtpräsident Alexander Tschäppät erläutert auf Anfrage, dass ihm die im Qualitätssicherungssystem vorgesehene Überprüfung der Antennen-Daten alle 24 Stunden nicht genüge. Er erinnerte daran, dass jedes Baugesuch eine riesige Opposition hervorrufe. Die Angst der Bevölkerung vor Strahlung dürften die Behörden nicht ignorieren. «Wir wollen einfach sagen können, dass wir alles unternommen haben, um den bestmöglichen Schutz anzubieten.» Ob die geplante Softwarelösung genüge, sei sicherlich Ansichtssache, so Tschäppät. Offensichtlich will die Stadt diese Ansichtssache richterlich klären lassen und inzwischen Zeit gewinnen: In der städtischen Pressemitteilung steht, das Moratorium dauere, «bis diese zentrale Frage rechtskräftig entschieden ist».

Mehr als Lausanne verlangte

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis die Mobilfunkbetreiber ein Anrecht auf Bewilligungen geltend machen: Das Thuner Bauinspektorat hat laut dem Sachbearbeiter Hansueli Maurer bereits einen Brief von Sunrise bekommen, in dem die Firma fordert, nun seien die hängigen Gesuche zu bewilligen. Bei den Experten stösst Tschäppäts Entscheid auf wenig Verständnis. Peter Matti, Experte für nichtionisierende Strahlung (NIS) im Beco: «Ich sehe keinen ersichtlichen Grund, wieso das Qualitätssicherungssystem den Anforderungen des Bundesgerichts nicht genügen sollte.» Bundesamt für Umwelt, Bundesamt für Kommunikation und die kantonalen Experten hätten es sich nicht leicht gemacht. Das gewählte System gehe in zwei Punkten sogar wesentlich weiter, als es die Lausanner Richter verlangt hätten: Es beziehe auch die Kontrolle der bestehenden Anlagen ein und berücksichtige die Neigungswinkel. «Das ist ein ganz wichtiger Punkt.» Jürg Baumann von der Abteilung Luftreinhaltung und NIS des Bundesamts für Umwelt (Bafu) will die Aussagen Tschäppäts nicht kommentieren. «Das Bafu hat keine Weisungskompetenz und kann nur Empfehlungen abgeben.» Wenn gemäss dem vorgesehenen Qualitätssicherungssystem die Mobilfunkantennen nicht mehr wie bisher bloss sporadisch, sondern einmal pro Tag kontrolliert würden, sei dies «ein wesentlicher Schritt hin zu einer besseren Kontrolle» und entspreche dem Grundanliegen des Bundesgerichts. Das Bafu gehe davon aus, dass auch diese neuste Entwicklung in Sachen Mobilfunk vor dem Bundesgericht landen werde.

Moratorium auch in Burgdorf

Die Stadt Bern ist nicht die erste Gemeinde im Kanton, welche sich über die Empfehlungen des Beco hinwegsetzt. Burgdorf meldete kürzlich, dass man das Moratorium fortsetze, bis eine Studie der ETH Zürich zur Auswirkung der Strahlung vorliege.

Das Bundesgericht hat allerdings kürzlich festgehalten, dass derzeit Antennen nicht mit Hinweis auf solche Studien verhindert werden können. Matti sagt, diese Studie zum Zusammenhang von Feldstärke und Wohlbefinden werde keine Rückschlüsse auf die Gesundheit der Testpersonen zulassen. «Sie wird hochstilisiert.» Erst ganz am Beginn steht das Nationalfondsprojekt, das die Wirkung der nichtionisierenden Strahlung fundiert aufzeigen soll.

Und so handhaben weitere bernische Städte derzeit die Mobilfunkbewilligungen:

. Biel hat seit Mitte Januar laut Marianne Schmid von der Abteilung Baubewilligung/Kontrolle hängige Gesuche bewilligt, weitere kommen demnächst dazu.

. Thun bespricht die Situation am 16. März mit dem Beco. Auch die Geschäftsführerin des von den drei Mobilfunkbetreibern finanzierten «Forums Mobil» nimmt am Workshop teil. Sieben Baugesuche bleiben bis dann pendent.

. «Wir bearbeiten die hängigen Baugesuche», sagt die Könizer Planungsvorsteherin Katrin Sedlmayer. Nach Auskunft des kommunalen Bauinspektorats sei ein anderes Vorgehen auch gar nicht möglich.

Auch das «Forum Mobil» bezeichnet Bewilligungsmoratorien als unzulässig. Ausserdem findet es, mit Studien lasse sich die Unschädlichkeit einer Technologie aus methodischen Gründen gar nicht beweisen.


EXTRA

25 Gesuche betroffen

In der Stadt Bern gibt es ungefähr 400 Mobilfunkanlagen unterschiedlicher Sendeleistung. Für etwa 25 weitere sind Gesuche hängig. Zwei davon kämen auf einem städtischen Gebäude zu stehen. Ein Moratorium für Antennen auf stadteigenen Gebäuden besteht seit Herbst.

Das Qualitätssicherungssystem, das Ende 2006 eingeführt werden soll, sieht eine automatisierte Überprüfung der effektiv eingestellten Sendeleistung und -richtung vor. Erkennt das System Überschreitungen des bewilligten Werts, müssen die Mobilfunkfirmen innert 24 Stunden Änderungen vornehmen, wo dies per Fernsteuerung möglich ist, sonst innert einer Woche. Eine unabhängige Prüfstelle kontrolliert.

Das Bundesgericht hiess im März 2005 die Beschwerde von Privaten gegen ein Antennenprojekt von Orange in Bolligen gut. Anwohner hätten ein schützenswürdiges Interesse daran, dass die Einhaltung der NIS-Grenzwerte durch objektive und überprüfbare bauliche Vorkehrungen gewährleistet sei. (ry)

Der Bund, Rainer Schneuwly 15.02.06

http://www.espace.ch/artikel_179449.html

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